Gau Passau
Dieser Artikel ist erschienen im Rhaeten-Herold Nr. 619/620-S. 13

29.05.2022 - Von Maria zum „Magier“

Gemeinsamer Gautag der Passauer und Regensburger Rhaeten in Passau / Mariahilf und Wernstein / Zwickledt, OÖ.

Es war schon ein reichhaltiger Gautag, zu dem der Passauer Obmann Günter Albrecht die Passauer und Regensburger Rhaeten am 29. Mai 2022 versammelte, mit zwei Besichtigungszielen: die Wallfahrtskirche Mariahilf ob Passau und das Kubinschlösschen in Wernstein / Zwickledt; dazu zwei gastronomische Ziele: der „Wirt zu Steinbrunn“ in Schardenberg und das „Mosthäusl“ in Wernstein, beide im nahen Oberösterreich.

Die Besucherzahl war erfreulich: zwanzig Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Der Anteil der Regensburger war zwar schmal, aber doch erfreulich gewichtig, da sich natürlich Gauobmann Werner Penth mit seiner Gattin eingefunden hatte. Eine erfreuliche und gleichfalls erst recht gewichtige Dreingabe war die Anwesenheit auch Münchner Gauangehöriger: Ehrenphilistersenior Dr. Berndt Jäger und Stellvertretender Philistersenior Rupert Härtl sowie Manfred Stegmüller waren gekommen.

Von „Besichtigungszielen“ war die Rede. Das erste war mehr als das: Die Bundesbrüder wohnten in Mariahilf zunächst dem sonntäglichen Gottesdienst bei und erfuhren dann von zwei Führern Wichtiges zu Erscheinungsbild und Geschichte der Wallfahrtskirche und bei der später gebotenen Aussicht auf die Stadt auch zur Geschichte von Passau.

Der erste und zwar besonders berufene Führer war der Gauobmann selbst, der in seinem Ruhestand seit langem auch als Stadtführer tätig ist. Gegenstand seiner Ausführungen war zunächst die ungewöhnliche Geschichte der Wallfahrtskirche. Sie geht zurück auf den aus Oberschwaben stammenden adeligen Domdekan Marquard von Schwendi, der an Stelle des nicht geweihten Fürstbischofs, des Habsburger Erzherzogs Leopold, die geistlichen Funktionen wahrzunehmen hatte. Dieser Erzherzog hatte als Gast des Kurfürsten Johann Georg von Sachsen ein von Lukas Cranach dem Älteren geschaffenes Marienbild zum Geschenk erhalten, das er nach Passau mitbrachte. Marquard von Schwendi fasste eine so große Zuneigung zu diesem Bild, dass er die Erlaubnis erbat, sich davon eine Kopie anfertigen zu lassen, für deren Aufstellung er zunächst eine Holzkapelle erbauen ließ. Als Erzherzog Leopold sogenannte Gubernator von Tirol wurde, nahm er das Original nach Innsbruck mit, aber die Kopie war inzwischen schon zum Gegenstand allgemeiner Verehrung geworden, einer Verehrung, die sich schließlich so ausweitete, dass heute über 500 Kirchen und Kapellen in der ganzen Welt den Namen „Mariahilf“ tragen und dort ein Wallfahrtsbild verehrt wird, das dem Passauer Bild mehr oder weniger ähnlich ist. In Warschau wurde sogar eine plastische Wiedergabe des „Mariahilf“-Motivs aufgestellt, das dort heute noch als „Passauer Muttergottes“ bezeichnet wird. Die Warschauer „Mariahilf“-Darstellung ist aber noch aus einem anderen Grund alles andere als eine von vielen; sie steht vielmehr im engsten Zusammenhang mit einem Umstand, der sehr wesentlich zur Verbreitung der „Mariahilf“-Verehrung beigetragen hat: Im Jahre 1676 hatte Kaiser Leopold I. in Passau eine bayerische Adelige geheiratet und zur Erinnerung daran die großartige „Kaiserampel“ gestiftet, die heute noch von der Decke der Kirche hängt. Derselbe Kaiser musste sich freilich bald darauf unter unerfreulichen Umständen erneut nach Passau begeben, nämlich auf der Flucht vor den Türken, die 1683 seine Residenzstadt Wien belagerten. Er konnte dorthin zurückkehren, als ein christliches Heer unter Führung des Polenkönigs Jan Sobieski die Türken in die Flucht geschlagen hatte. Wie Bbr Penth einflocht, hat dabei möglicherweise der Zufall eine wichtige Rolle gespielt: Die Marketender hatten sich zwischen beiden Heeren niedergelassen, und als die christlichen Ritter vom Kahlenberg herabstürmten, rafften sie in aller Eile ihre Sachen zusammen, um sie in Sicherheit zu bringen. Die Türken aber hätten, in der Meinung, ihre vordere Linie habe die Flucht ergriffen, jede Kampfmoral eingebüßt und das Weite gesucht. Wie auch immer – Heer und Heerführer der christlichen Seite schrieben den Sieg einer anderen Macht zu: Sie hatten sich in bewusster Anspielung auf das Passauer Gnadenbild unter den
Schutz Mariens gestellt und die Anrufung „O Maria, hilf“ zu ihrem Schlachtruf gemacht. Die „Passauer Muttergottes“ in Warschau ist denn auch sowohl der Verehrung Mariens als auch dem Andenken König Jan Sobieskis gewidmet.

Nach den informierenden Worten des Gauobmanns über die Kirche führte uns ein Angehöriger der polnischen Pauliner, die seit dem Weggang der Jahrhunderte lang hier tätigen Kapuziner Kirche und Wallfahrt betreuen, noch in die Sakristei, die wertvolles Inventar enthält, sehenswert nicht nur an sich, sondern auch weil es zusammen mit diesem Raum als einziger Bereich des gesamten Komplexes von Mariahilf dem verheerenden Stadtbrand von 1662 nicht zum Opfer gefallen ist.

Im Anschluss an den Aufenthalt im Kirchenbereich durften die Bundesbrüder auf die gewöhnlich nicht zugängliche, der Stadt zugewandte Terrasse des Klosters hinaustreten, wo dem Betrachter die imposante Innfront mit den auf die fürstbischöfliche Herrschaft zurückgehenden palastartigen Gebäuden zu Füßen liegt. Der Gauobmann vermittelte hier, unterstützt durch den Augenschein, wesentliche Informationen zur Stadt und zu ihrer Geschichte, musste aber immer wieder andeuten, dass er da und dort noch weiter ausgreifen hätte müssen und können, wenn nicht die fortgeschrittene Zeit zum Aufbruch gedrängt hätte, zum Aufbruch ins nahe Oberösterreich, nämlich zum Mittagessen beim „Wirt zu Steinbrunn“ in Schardenberg. Zu diesem Mittagessen genügen ein paar Worte: Wir fanden Platz in einem großen, sommergartenartigen Neubau, der bis zu den von uns einzunehmenden Plätzen schon prall gefüllt war. Angesichts der Qualität von Angebot und Organisation wunderte uns dieser große Zuspruch nicht.

Nach dem Essen blieben wir Oberösterreich treu und fuhren zum schlossartigen Wohnhaus des „Magiers mit der Zeichenfeder“, des weltbekannten Zeichners Alfred Kubin. Carl Zuckmayer hat in seinem Erinnerungsbuch „Als wär’s ein Stück von mir“ Haus und Bewohner in den Zusammenhang der umgebenden Landschaft gestellt: „ – in Zwickledt – hauste, bis zu seinem Tod vor wenigen Jahren, der große Maler-Zeichner, auch Dichter, Alfred Kubin, ein Magier und Sterndeuter unter den Künstlern seiner Zeit. Sein Werk ist ein vollkommener Ausdruck der urtümlichen und unheimlichen Seltsamkeit (…) dieser besonderen Landschaft und ihrer <anderen Seite>…“ Ja, „die andere Seite“ – diese Formulierung bezeichnet den singulären Ausflug des „Maler-Zeichners“ in die Literatur, einen Roman, singulär zunächst deswegen, weil er im Werk des Dichters etwas Einmaliges blieb, singulär aber auch deswegen, weil er heute noch als unübertroffenes Meisterwerk der phantastischen Literatur gewürdigt wird.

Die Betreuerin des Hauses führte uns durch alle im Zustand von Kubins Lebzeiten belassenen Räume und ließ mit einfühlsamen Worten die Existenz des Künstlers vor uns erstehen. Es blieb auch noch genug Zeit, sich anhand der in einer Dauerausstellung präsentierten Zeichnungen in die phantastisch-grotesk-dämonische Welt Kubins zu versenken. Dass diese Welt nicht nur eine solche des Werks, sondern auch der Person Kubins war, erfährt man aus einem Buch der Salzburger Autorin Brita Steinwendtner, die dies mit fast erschreckenden Worten ausdrückt, indem sie sich auf den Volksmund beruft: „Er sei ein Weiberer gewesen, die Mägde habe er nach Passau zur Abtreibung geschickt. Er sei mit dem Teufel im Bunde…“ Trotzdem darf man Kubin nicht auf diese Nachtseite reduzieren und auch seine Dorfgenossen
haben es letztlich wohl nicht getan, sondern es zum Beispiel sicher geschätzt, dass er jedem Verstorbenen aus ihren Reihen persönlich das Glöcklein im Turm seines Hauses als Totenglocke geläutet hat. Und Kubins langjährige Haushälterin Cilli Lindinger hat gegenüber dem Dichter Uwe Dick geäußert, dass sie „a paar Blätter (…) gleich mögn“ hat, denn „wissen’S, der witzige Kubin, den’s ja auch geben hat!“

Bei der Führung erfuhr man, dass das Kubinschlösschen ursprünglich in Beziehung zur nahen Neuburg jenseits des Inns gestanden hat. So passte es auch von daher, dass der Gautag im „Mosthäusl“ in Wernstein ausklang, von wo man die mächtige Neuburg hoch über dem Fluss thronen sieht.Mit dem Blick auf die elegante Fußgängerbrücke in Stahlkonstruktion, die vor einigen Jahren zur Verbindung von Österreich
und Bayern errichtet wurde, konnten die Damen und die Bundesbrüder Leckereien wie Topfenknödel oder Zwetschgenpofesen zum Kaffee und einem Gläschen Most oder Uhudler genießen.

Bevor alle die Heimreise antraten, dankte Werner Penth dem Gauobmann von Passau im Namen der Teilnehmer für die Organisation des wohlgelungenen Gautages mit einem Stadtführer von Regensburg.

Bbr Franz Salzinger und Bbr Günter Albrecht, Gauobmann