Gau Passau
Dieser Artikel ist erschienen im Rhaeten-Herold Nr. 535/536-S. 24
Gautag in Niederaltaich
am 26. April 2008
Einen „Herzort bayerischer Kirchen-und Kulturgeschichte" hatte der Passauer Gauobmann das Kloster Niederaltaich in seiner Einladung zum ersten Gautag des Jahres 2008 genannt. 30 Mitglieder der Rhaetenfamilie, Kinder und Jugendliche mitgezählt, waren seinem Ruf am 26. April gefolgt, und besonders erfreulich war es, dass auch Philistersenior Maximilian Wilhelm, selbst ehemaliger Niederaltaicher Schüler, und Aktivensenior Matthias Reiger das Treffen durch ihre Anwesenheit ehrten.
Die in der Bezeichnung „Herzort" anklingende organische Vorstellung sei noch etwas weitergeführt. Zu einem Herzen gehört ein Kopf, und ein Kopf hat ein Gesicht. Und da könnte man sich fragen: Wohin war das Gesicht dieses Klosters in seiner langen Geschichte vor allem gewandt? Die Antwort ist eindeutig. Sein Gründer, der Bayernherzog Odilo, wies ihm die Aufgabe zu, den nördlich von ihm gelegenen Teil des Bayer- und Böhmerwaldes zu kultivieren. Dieser Aufgabe wurde das Kloster in großartiger Weise gerecht, und der Ruhm eines seiner großen Repräsentanten, des heiligen Günther, ist im böhmischen Raum bis zum heutigen Tage greifbar. Seine unübersehbaren Spuren reichen bis in das Weichbild von Prag, wo der Heilige in der Klosterkirche von Brevnov begraben liegt und Cosmas Damian Asam im Deckenfresko des Prälatensaals der Abtei eine legendenhafte Episode aus seinem Leben dargestellt hat. Auch einen zweiten großen Repräsentanten Niederaltaichs, den heiligen Abt Godehard, den Lehrer Günthers, führte herrscherlicher Auftrag in den Norden, allerdings noch viel weiter. Er wurde im Jahre 1022 Bischof von Hildesheim, erwarb sich größte Verdienste und steht dort auch heute noch in hohen Ehren. Eine der drei berühmten romanischen Kirchen der Stadt trägt seinen Namen.
Die Rhaeten vertrauten sich der kundigen Führung eines Mitglieds des Konvents, P. Beda an, der seine Zuhörer zu-nächst zum südlich der Kirche gelegenen Friedhof führte, von wo aus er mit dem Blick auf das Gotteshaus besonders gut dessen Baugeschichte - von der Romanik über die Gotik zum Barock - erläutern konnte. Dabei fiel auch Passauer Gautag in Niederalteich die Bemerkung: „Wer wissen will, wie die gotische Kirche Niederaltaichs vor ihrem barocken Umbau ausgesehen hat, muss nach Neuberg an der Mürz in der Steiermark fahren. Die dortige ehemalige Klosterkirche entspricht in ihren Maßen fast genau der gotischen Niederaltaicher Kirche." Dieser zunächst architekturgeschichtliche Hinweis zeigt nun zugleich die zweite Blickrichtung des Klosters, die nach Osten. Diese Blickrichtung hat das Kloster in unseren Tagen in bemerkenswerter Weise wieder aufgenommen. Wenn heute Papst Benedikt XVI. der Beziehung zu den Ostkirchen besonderes Augenmerk widmet, so greift er damit die Initiative eines seiner Vorgänger auf, der seinerzeit die Benediktiner dazu aufrief, in ähnlichem Sinn tätig zu werden. Niederaltaich war nun eines der ganz wenigen Klöster, die diesem Aufruf folgten. Die konkrete Umsetzung bestand und besteht darin, dass jeweils einige Mitglieder des Konvents zwar selbstverständlich die theologische Ausrichtung der römisch-katholischen Kirche beibehalten, aber liturgisch in den ostkirchlichen Ritus überwechseln. So hat man auch das ehemalige Sudhaus zur byzantinischen Kirche St. Nikolaus - sie wurde gleichfalls in die Führung einbezogen - umgestaltet und ein ökumenisches Institut eingerichtet, das im Sinn der Verständigung zwischen den Christen in Ost und West arbeitet.
Dass Niederaltaich nicht nur in dieser Hinsicht, sondern auch im pädagogischen Bereich heute wieder so fruchtbar wirken kann, ist alles andere als selbstverständlich: Noch auf dem Friedhof wies P. Beda die Rhaeten auf ein Kuriosum am Südturm hin, einen sog. Horoskopstein, der den Stand der Gestirne bei der Grundsteinlegung zeigt. Er soll dem Kloster eine unruhige Zukunft in Aussicht gestellt haben, eine Prophezeiung, die sich voll bestätigte. Immer wieder suchten nämlich Hochwasser und Brände Niederaltaich heim, und auch die Aufhebung im Jahre 1803 blieb ihm nicht erspart. Aber das Kloster erlebte eine zweite Gründung, freilich nicht nur durch einen Herrscher wie das erste Mal, sondern durch einen gebürtigen Niederaltaicher, den späteren Passauer Religionsprofessor und Geistlichen Rat Franz Xaver Knabenbauer. Über Jahrzehnte hin begleitete diesen das Ziel der Wiedererrichtung des Klosters, dem er mit eiserner Sparsamkeit zu dienen suchte. Diese ging so weit, dass er sich beispielsweise beim Kartenspiel erst dann ein Bier kaufte, wenn er vorher gewonnen hatte. Die Erfüllung seines Herzenswunsches erlebte er nun zwar nicht mehr, aber die über die Jahre hin immer mehr anwachsende Sparsumme machte es schließlich dem benachbarten Kloster Metten möglich, die Wiederbesiedlung von Niederaltaich ins Werk zu setzen, was zur Neuerrichtung der Abtei im Jahre 1930 führte. Die Kirche erhielt wegen ihrer Größe und kirchlichen Bedeutung 1932 den päpstlichen Titel einer „Basilica minor".
Bei der Führung durch die Kirche selbst ließ P. Beda das sie durchwaltende religiöse Programm (die Kirche als „Gestalt gewordene Verkündigung") deutlich werden.
Herausgehoben sei hier nur ein Aspekt, der sich mit der wichtigsten architektonischen Besonderheit des Gotteshauses verbindet: Der Passauer Domkapitel-Baumeister Jakob Pawagner, der die Barockisierung der Kirche durchführte, zog im oberen Drittel der Seitenschiffe eine Zwischendecke ein, die er jochweise mit ovalen Öffnungen durchbrach. Diese erzeugen nicht nur reizvolle Lichteffekte, sondern unterstützen auch die Aussageintentionen der barocken Künstler. Diese ordneten den unteren Bereich der irdischen, den oberen der himmlischen Sphäre zu, so dass wir etwa auf einem Seitenaltarbild das Martyrium des heiligen Sebastian dargestellt sehen, während der Blick durch die Gewölbeöffnung auf ein Deckengemälde fällt, das den Heiligen in seiner himmlischen Glorie zeigt. In Sachen Statik scheint Pawagner aber eine weniger glückliche Hand gehabt zu haben. Ein diesbezüglicher Fehler, der ihm beim Anbau des nach Osten gerundeten Chors unterlief, führte nämlich zu seiner Entlassung und zu seiner Ersetzung durch den jungen Johann Michael Fischer, der hier mit dem ehemaligen Mönchschor einen lichtdurchfluteten Sakralraum schuf.
Nach der eigentlichen Kirchenbesichtigung bestaunte man noch die prachtvollen Sakristeischränke, die wesentlich dazu beitragen, diesen Raum zu einem der schönsten seiner Art in Süddeutschland zu machen.
Von der letzten Station der Besichtigung, der byzantinischen Kirche, war der Weg nicht weit zum „Klosterhof", wo man den Gautag bei Speis und Trank und guten Gesprächen ausklingen ließ. Der Philistersenior nützte dabei die Gelegenheit, im Rahmen einer kurzen Ansprache insbesondere auf die zurzeit brennende Frage einzugehen, wie man vermehrt Studierende für die Rhaetia gewinnen könnte. In der nachfolgenden Aussprache wurde einhellig die Meinung geäußert, dass es zu persönlichen Kontakten keine wirklich erfolgversprechende Alternative gebe.
Sollte der Aufruf des Philisterseniors, sich Gedanken über entsprechende Möglichkeiten zu machen, wenigstens bei dem einen oder anderen der Anwesenden auf fruchtbaren Boden gefallen sein, so hätte der Gautag auch in dieser Hinsicht sein Gutes gehabt.
Bb. Franz Salzinger