Gau Passau
Dieser Artikel ist erschienen im Rhaeten-Herold Nr. 595/596-S. 9-11
Gautag am "völkerverbindenden Strom"
Das moderne Leben bringt es mit sich, dass man hin und Wieder über einen störenden Vordergrund - im Doppelsinn des Wortes - hinwegsehen muss, um einen landschaftlich reizvollen oder historisch erinnerungsträchtigen Anblick zu genießen. Das gilt z.B. für die Siebenschläferkirche von Rotthof im Rottal, aber auch für Hengersberg in der Donauebene bei Deggendorf. Hier beherrscht ein gewaltiger Autohof, dort eine Autofirma mit einem Riesenfeld abgestellter Pkws den Vordergrund.
Die Silhouette von Hengersberg mit ihren beiden auf getrennten Höhen stehenden Kirchen ist gleichwohl geeignet, Neugier zu wecken.
Manchmal muss dieser aber etwas nachgeholfen werden, und das besorgte im Fall der Passauer Rhaeten das bundesbrüderliche Ehepaar Elfriede und Dr. Helmut Liebl. So setzte Gauobmann Prof. Dr. Konrad Glas für Samstag, den 2. Juni 2018, einen Gautag in Hengersberg an.
Wie es gute Gewohnheit ist, stand ein Besichtigungsprogramm am Anfang. Es galt den beiden erwähnten Kirchen, der Pfarrkirche auf dem Rohrberg und der Marienkirche auf dem Frauenberg. Wie sich zeigte, waren sie wie alles in der Welt zeitbedingten Veränderungen unterworfen.
Die bewirkte einmal der natürliche Verfall, dem mit Wiederherstellungsmaßnahmen begegnet werden musste, aber auch der Wandel von Kunst- und Zeitgeschmack, der selbstsichere Epochen bewog, mit Vorausgehendem gründlich aufzuräumen. Wie sehr schmerzt es uns heute, dass wertvolle gotische Kunstwerke barockem Ersatz und dieser wieder klassizistischer Kühle und den historisierenden Neigungen des 19. Und frühen 20. Jahrhunderts weichen mussten! Aber erheben wir uns nicht über vergangene Zeiten - auch in unseren Tagen glaubte man im Gefolge des 2. Vatikanischen Konzils eine aufs Wesentliche ausgerichtete Religiosität dadurch zu fördern, dass man Werke nazarenischer oder historisierender Herkunft zum Abfall warf. Dass in dieser Hinsicht heute eine andere Einstellung Platz gegriffen hat und man auch solchem Kunstschaffen einen Eigenwert zuerkennt, betonte Bb. Dr. Eduard Buckl in seiner ebenso fundierten wie anschaulichen und dankbar aufgenommenen Kirchenführung ausdrücklich, hierin sekundiert vom kompetenten Urteil unseres Bb. Leitender Baudirektor a.D. Günter Albrecht.
Angesichts der erwähnten Vorgänge ist es doppelt erfreulich, wenn hochrangige Kunstwerke einer weiter zurückliegenden Vergangenheit erhalten geblieben sind und uns heute noch erfreuen. Das gilt in unserem Fall besonders für eine Kreuzigungsgruppe aus dem frühen 18. Jahrhundert in der Rohrbergkirche. Sie hatte zunächst in einer Seitenkapelle gestanden, hatte dann vorübergehend das Zentrum des Hochaltars gebildet und hat nun ihren Platz an der rechten Seitenwand gegenüber der klassizistischen Kanzel. Das beherrschende Kunstwerk dieser Gruppe ist eine eindrucksvolle, barock bewegte, 213 cm hohe Statue der Schmerzensmutter Maria. Dem Erbauer der Rohrbergkirche war die in Gestalt von St. Michael in München auch in unserem Land schon erscheinende Renaissancearchitektur noch nicht geläufig, er berücksichtigte sie aber bereits insofern, als er der Kirche zwar eine noch der Gotik verpflichtete große lnnenhöhe gab, Fenster und Portale aber nicht mehr spitz-, sondern rundbogig abschloss.
Die Rohrbergkirche ist zwar die Hauptkirche Hengersbergs, dessen Ursprung liegt aber beim Frauenberg und dessen Kirche: Das dortige Deckengemälde hat die Gründung von Ort und Kirche durch den Abt Godehard von Niederaltaich (nach 996) zum Gegenstand. Die Weihe des Gotteshauses an Maria bewirkte zugleich die Entstehung einer Wallfahrt, womit die Frauenbergkirche für Niederaltaich eine ähnliche Funktion gewann wie entsprechende Kirchen für andere Klöster oder Bischofssitze. Godehard stammte aus der näheren Umgebung des Klosters, die Strahlkraft seiner Persönlichkeit führte ihn aber weit darüber hinaus und schließlich sogar auf den Bischofsstuhl von Hildesheim. Ja, einer der wichtigsten Alpenpässe, der St. Gotthard, trägt seinen Namen, weil bayerische Herzöge dort eine Kapelle zu Ehren ihres berühmten Landsmanns errichtet hatten. In den letzten Jahren ließ sich der bekannte türkischstämmige Kabarettist Django Asül neben einer Godehard-Statue, um die er seinen Arm gelegt hatte, fotografieren und bestätigte dadurch unmissverständlich, dass ihm das niederbayerische Donauland zur Heimat geworden ist.
Mit der Rohrbergkirche hat sich also St. Godehard ein Denkmal gesetzt, das noch nach 1000 Jahren an ihn erinnert, aber beide Kirchen sind noch in einem anderen Sinn Denkmäler:
Sie zeugen von bürgerlicher Großzügigkeit. Die Rohrbergkirche hat nämlich der spätere Abt Bernhard Hilz, Sohn eines Hengersberger Bierbrauers und von l573 bis 1592 wirtschaftlicher Verwalter des Klosters Niederaltaich, unter Einsatz seines väterlichen Erbteils von Grund auf neu erbauen lassen. Und die Frauenbergkirche, die 1812 versteigert wurde und dadurch von der Zerstörung bedroht war, wurde damals von Hengersberger Bürgern zusammen mit der gesamten Ausstattung einschließlich der Glocken ersteigert und der Marktgemeinde geschenkt.
Mit dem Bewusstsein, wieder ein wertvolles Stück Heimat kennengelernt zu haben, konnte sich die Rhaetenrunde jetzt zum gemeinsamen Mittagessen begeben, zu dem man sich im Wirtsgarten des Mühlhamer Kellers bei Osterhofen zusammenfand. Hier rückte man nun dem - vom erfreulicherweise gleichfalls anwesenden Philistersenior so bezeichneten - „völkerverbindenden Strom“ besonders nahe, denn die Gaststätte und ihr Garten liegen unmittelbar an der sogenannten Mühlhamer Schleife, die in der Diskussion um die Erhaltung eines letzten Stücks freifließender Donau eine große Rolle spielt.
Trotz der vom Lokal beklagten Personalnot wurden die Bundesbrüder zügig bedient und konnten mit dem Speisenangebot voll zufrieden sein. Philistersenior und Gauobmann sprachen freundliche Begrüßungsworte und ersterer nützte auch die Gelegenheit, um dem Gauobmann zu seinem unmittelbar vorausgegangenen 75. Geburtstag Glück zu wünschen. Das war also noch kein runder Geburtstag, aber rund war die Zahl der Anwesenden, nämlich 30 Personen: ein schöner Erfolg - machen wir so weiter!
Bb. Franz Salzinger