Gau Passau
Dieser Artikel ist erschienen im Rhaeten-Herold Nr. 472/473-S. 6

Das "Netz" Rhaetia fester geknüpft

Das Gautreffen in Bad Füssing und Passau vom 31.1./1.2. 1998

An den Überschriften dieses Berichts mag zweierlei auffallen: das Bild vom "Netz" und die Bezeichnung "Gautreffen" statt "Gautag".

Fangen wir mit der zweiten Auffälligkeit an: Es ist an sich nichts Besonderes, wenn sich zu einem Gautag Vertreter von Nachbargauen einfinden; bei dem hier anzusprechenden Ereignis war aber die Begegnung verschiedener Gaue nicht nur ein erfreuliches Nebenprodukt, sondern sozusagen strukturell. Konkret: In der Aktivitas und man darf annehmen, vor allem in ihrer derzeitigen Vorstandschaft war der begrüßenswerte Gedanke entstanden, einmal über München hinauszugreifen und die Philister eines auswärtigen Gaues aufzusuchen, um im unmittelbaren Miteinander zu erfahren: "Was passiert in München, was passiert draußen?" (Aktivensenior Georg Bründl in Bad Füssing). Natürlich war das nicht so kognitiv gemeint, wie es klingt, sondern die Verbindung zwischen jung und alt, zwischen den Rhaeten im Münchner Zentrum und denen im östlichen Niederbayern sollte gestärkt und belebt, oder um es mit einem vom Zelebranten des gemeinsamen Gottesdienstes gewählten Bild auszudrücken: Das "Netz" Rhaetia sollte wenigstens an e i n e r Stelle fester geknüpft werden.

Mag es für die teilnehmenden Aktiven auch ein Wermutstropfen im Freudenbecher dieser zwei Tage gewesen sein, dass ihre Zahl etwas geringer ausgefallen war als ursprünglich angesetzt, so verdienen doch die tatsächlich Gekommenen um so mehr Anerkennung. Wir Philister des Gaus Passau haben uns jedenfalls über diese Initiative sehr gefreut und wissen sie zu würdigen. Im übrigen war ja auch auf der anderen Seite nicht alles Gold: Der Passauer Gauobmann errechnete für die teilnehmenden Passauer Philister ein Durchschnittsalter von 60 Jahren ein Defizit im Bereich der jüngeren Jahrgänge war somit augenfällig.

Aber beide Umstände haben die Stimmung dieser zwei Tage nicht ernsthaft beeinträchtigt. Zwar ist der Gedanke dieses Treffens ein uneingeschränktes Verdienst der Aktivitas, doch darf auch das Passauer Philisterium sein Licht ein wenig leuchten lassen. Gauobmann Robert Brummer und Bb. Dr. Konrad Glas setzten ihre guten Beziehungen zu maßgeblichen Leuten von Europas besuchtestem Kurort, Bad Füssing, ein. Das Ergebnis war höchst erfreulich: Bürgermeister Franz Gnan bescherte den Teilnehmern des Gautreffens am ersten Tag einen kostenlosen Badenachmittag in der Therme 1, garniert mit einem badespezifischen Geschenk textiler Art, und lud sie dann zu Kaffee und Kuchen ins Hotel Holzapfel.

Dort führte er sie auf eine sympathische, zugleich launige und informative Weise in Vergangenheit und Gegenwart des Kurorts ein.

So erfuhr man, dass am Anfang von Bad Füssing eigentlich eine große Enttäuschung stand: In den dreißiger Jahren bohrte man in der Pockinger Heide nach Erdöl, stieß aber auf schwefelhaltiges Wasser. Die Exponenten des Dritten Reiches legten auf diese Medizin aus der Erde keinen Wert, weil man ohnehin genug defizitäre Staatsbäder habe, und ließen die zufällig erbohrte Quelle wieder verschließen. Historisch pikant ist dabei so Franz Gnan der Umstand, dass man schon damals auf das Vorhandensein der böhmischen Traditionsbäder verwies, die man sich einige Wochen später im Rahmen des Einmarsches in die Tschechoslowakei tatsächlich aneignete.

Die Stunde des heutigen Kurorts schlug dann 1945, und der Bürgermeister ließ seine Zuhörer in ebenso interessanter wie amüsanter Weise die einzelnen Stufen der Entwicklung und deren unvermeidliche Stolperer miterleben: Was zunächst Sache einer kleinen Gemeinde (sie hieß noch gar nicht Füssing, sondern Safferstetten), einiger Nachbarkommunen und des zuständigen Landkreises war, wurde in der Folgezeit zum Anliegen des gesamten Regierungsbezirks und beschäftigte schließlich den ganzen bayerischen Staat in Gestalt seiner Regierung. Zum letzten Punkt packte Franz Gnan ein besonders eindrucksvolles Beispiel aus seinem, wie er versicherte, sehr reichen einschlägigen Anekdotenschatz aus. Die Zuhörer amüsierten sich köstlich über die tatkräftige Art, in der der seinerzeitige Regierungspräsident Riederer sich vom zuständigen Beamten des Finanzministeriums die Unterschrift zur Genehmigung der zweiten Therme verschaffte: Als Herr Gnan und er nach diversen vorausgehenden Versuchen diesen entscheidenden Mann in München nicht antrafen, weil er sich auf einer Autobahnfahrt westwärts befand, nahmen sie die Verfolgung auf und nötigten ihm an einer Raststätte die Unterschrift, vollzogen auf der Kühlerhaube des Regierungspräsidentenautos, geradezu ab. Mit dieser glorreich erfochtenen Genehmigung einer zweiten Therme, erbohrt im Jahr 1963, hängt nun freilich einer der erwähnten "Stolperer" zusammen: eine wahre Prozeßflut, ausgelöst durch die Befürchtung, eine zweite Quelle könnte der ersten sozusagen das Wasser abgraben. Der Bürgermeister ersparte uns die Einzelheiten von teilweise 34 nebeneinander laufenden Verfahren und betonte mehr das schließlich erzielte Ergebnis: "Zwischen den drei Thermen" besteht heute "ein höchstmögliches Maß an Kommunikation und Kooperation".

Natürlich kam auch die dritte Quelle, die flüssige Grundlage des sogenannten Johannisbads", zur Sprache. Ohne sich hierbei auf das Thema Zwick näher einzulassen, betonte Franz Gnan die große Bedeutung dieser dritten Ausweitung des Bäderbetriebs für den Kurort: "Das Johannisbad ist ein wesentlicher Teil der Entwicklung; es deckt mehr als 40% ab." Das Ursprungsjahr der Füssinger Herrlichkeit, 1938, ist natürlich unvergessen, und so wird man nach Mitteilung des Bürgermeisters im Juli "60 Jahre Thermalquelle in Bad Füssing" feiern.

Die Ausführungen von Franz Gnan befriedigten offenbar das Informationsbedürfnis der Bundesbrüder so sehr, dass der gleichfalls anwesende stellvertretende Kurdirektor Rudi Weinberger, der das dienstlich anderweitig beanspruchte Ortsoberhaupt ablöste, keine Fragen im Plenum mehr beantworten musste. Selbstverständlich sprachen Gauobmann und Aktivensenior dem gastgebenden Bürgermeister den verdienten Dank der Rhaeten aus und unterstrichen ihn jeweils durch ein Präsent.

Dann wandte man sich vor Einsetzen des Abendessens mehr internen Themen zu. Georg Bründl äußerte sich zur Intention des Gautreffens und drückte seine Freude über dessen Zustandekommen aus. Robert Brummer übermittelte die Grüße des Philisterseniors und teilte dessen Absicht mit, seinerseits den Gau Passau besuchen zu wollen. Weiterhin dankte Brummer der Aktivitas für ihre Initiative und betonte den besonderen Charakter der Zusammenkunft: Sie sei auch deswegen ein wirkliches Gautreffen, weil neben den Vertretern der Aktivitas Philister aus München, Regensburg und Rupertigau, jeweils mit ihren Frauen, anwesend seien. Hier darf hinzugefügt werden, dass sich das Spektrum am zweiten Tag noch erweiterte: Auch der Gau Mühldorf war nun in Gestalt seines Obmanns Erich Horndasch mit Gattin vertreten.

Die frohgestimmte Runde im Füssinger Hotel Holzapfel war natürlich auch ein ausgezeichneter Rahmen für die Erinnerung an jüngst vorgefallene runde Geburtstage. Die vollendeten 60 Lebensjahre von Bb. Rudolf Mandl nahm der Gauobmann zum Anlass, seine besondere Treue zu würdigen, die ihn trotz beträchtlicher räumlicher Entfernung regelmäßig an den Gauveranstaltungen teilnehmen lässt. Bei Erwähnung der schulischen Herkunft des Bundesbruders verwies er auf den hohen Anteil der aus dem Humanistischen Gymnasium Passau, dem jetzigen Gymnasium Leopoldinum, hervorgegangenen Rhaeten.

Der 70. Geburtstag von Bb. Dr. Helmut Liebl, gewürdigt durch seinen Leibburschen Karl Glas, war für die Zuhörer eine willkommene Gelegenheit, wenigstens eine ferne Ahnung von der wissenschaftlichen Leistung dieses Mannes zu erhalten, der in der sympathischsten Weise "nichts aus sich macht".

Wie sehr die Aktivitas bestrebt war, das Treffen wirklich zur gemeinsamen Sache zu machen, zeigte sich nun auch darin, dass sie sich nicht nur verbal, sondern auch konkret, sprich: jeweils durch ein Geschenk, an der Ehrung unserer Jubilare beteiligte.

So ging das "amphibische" Bad und Gasthaus! Füssinger Unternehmen zu Ende; die ältere Generation fuhr nach Hause bzw. begab sich in ihre Quartiere, die jüngere suchte noch einen Faschingsball in Rotthalmünster auf, über dessen Verlauf der Berichterstatter allerdings keine Informationen hat.

Jedenfalls fand der folgende strahlende Sonntag den gesamten Kreis, nun aber noch beträchtlich erweitert, beim Gottesdienst in der St.AndreasKapelle am Passauer Dom wieder. Alles war dazu angetan, eine wirklich festliche Atmosphäre entstehen zu lassen: Helles Licht durchflutete die edle gotische Halle; den Zelebranten , Bb. Herbert Walter, darf man als wahren Glücksfall bezeichnen, und die für die Passauer Rhaetia so wichtige Familie Glas steuerte zwei ihrer musikalischen Koryphäen bei, Bb. Toni Glas als versierten Organisten und Fräulein Franziska Glas, (Tochter von Bb. Dr. Konrad Glas), als strahlenden Sopran. Aber es blieb nicht bei unverbindlicher Festlichkeit, denn der Zelebrant wusste dem Sonntagsevangelium von den "Menschenfischern" zwei sehr existentielle Aspekte abzugewinnen. Der eine war der ernst stimmende Gedanke, dass es eine Probe auf die Substanz unseres Menschentums, Christentums, Rhaetentums bedeutet , wie sehr wir das Bedürfnis fühlen und bereit sind, von den in uns lebenden Werten wenn sie denn wirklich lebendig sind an andere abzugeben. Dem zweiten Gedanken ist das in der Überschrift dieses Berichts verwendete Bild entnommen: Das Sonntagsevangelium spielt auf die berufliche Sphäre der ersten Apostel an, und der Prediger arbeitete einige wesentliche Aspekte der Vorstellung "Netz" heraus. Er streifte die negative Seite "Netz" als Falle, in der man sich verfangen kann betonte aber vor allem die positive, "Netz" als Ausdruck von Halt, Zuflucht, Gemeinschaft. Auch das gegenwärtige Gautreffen diene ja keinem anderen Zweck, als das "Netz" Rhaetia zu festigen.

Auch nach dem Gottesdienst entließ der Dombezirk seine Gäste noch nicht. Hatte man am Vortag dem besuchtesten Kurort Europas seine Aufwartung gemacht, so galt es nun, einen weiteren Superlativ näher kennenzulernen: die größte Kirchenorgel der Welt.

Nicht etwa, dass Toni Glas, der hier die Führung übernahm, in diesem Superlativ geschwelgt hätte. Als sich die Rhaetenschar auf die Orgelempore begeben und im Bereich des Spieltisches Platz genommen hatte, betonte er vielmehr zu Anfang seiner Einführung, dass Größe allein nicht Qualität bedeute, sondern jede Orgel in einen Raum hineingebaut sei und diesen ausfüllen solle. Hier biete nun freilich diese Riesenorgel mit ihren 17388 Pfeifen für den kundigen Organisten exzellente Möglichkeiten: Trotz ihrer enormen Größe und ihrer fünf Teile, die bis zu hundert Meter voneinander entfernt sind, ist das gesamte Werk vom zentralen Orgeltisch aus spielbar (für die Nebenorgeln stehen freilich auch spezielle Spieltische zur Verfügung) und kann so in ihren Ausdrucksmöglichkeiten auf die räumlichen Bedingungen und Bedürfnisse abgestimmt werden. 244 Registerkipptasten eröffnen den Zugang zur Erzeugung einer Vielzahl von Klangfarben, die richtig zusammenzumischen der Kunst des Organisten anheimgestellt ist. Bb. Glas betonte aber, dass ohne die bestehende Möglichkeit, Registrierungen vor der Darbietung einzuprogrammieren, nicht nur fremde Organisten überfordert wären.

Alle in der Führung erwähnten Wunder dieses Rieseninstruments aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Berichts sprengen. Erwähnt sei aber noch die ungeheure Spanne zwischen der größten und der kleinsten Orgelpfeife, die nicht nur im Gegensatz zwischen 11,3 m Länge/ca. 0,5 m Durchmesser und 6 mm Länge/3,5 mm Durchmesser, sondern auch darin besteht, dass die eine auf den tiefsten, die andere auf den höchsten hörbaren Ton gestimmt ist (letzteren können freilich die stumpferen Ohren Erwachsener in der Regel nicht mehr wahrnehmen).

Toni Glas gab auch einen kurzen Überblick über die Geschichte des Orgelwerks: Wie der gegenwärtige Dom in der Barockzeit entstanden, erfuhr es im 19. Jahrhundert eine einschneidende räumliche Umorientierung: Die seinerzeit an den Westpfeilern des mittleren Querschiffs angebrachten beiden Zusatzorgeln wurden zurückverlegt und flankieren seitdem als sogenannte Epistel und Evangelienorgel den Hauptklangkörper.

Das heutige Riesenwerk geht auf die zwanziger Jahre zurück, als die Orgelbaufirma G. F. SteinmayerÖttingen, ohne dies eigentlich zu beabsichtigen, die damals größte Orgel der Welt überhaupt schuf. Das seitdem vergangene halbe Jahrhundert machte in den siebziger Jahren eine Neugestaltung nötig, die von der Firma W. EisenbarthPassau durchgeführt wurde und dem Werk einen neuen klanglichen Charakter gab; lediglich die über dem Gewölbe des Mittelschiffs befindliche Fernorgel wurde im romantischen Stil der zwanziger Jahre belassen.

Toni Glas beschränkte sich aber nicht auf eine bloß verbaltheoretische Mitteilung von Fakten, sondern bot immer wieder die nötige klangliche "Veranschaulichung" und schloss seine Einführung mit einem Orgelstück von Max Reger ab, das die tief beeindruckten Zuhörer die Möglichkeiten dieser "Königin der Instrumente" eindrucksvoll erleben ließ.

Nicht unerwähnt soll hier bleiben, dass es auch für einen Insider des Passauer Musiklebens wie Bb. Glas nicht selbstverständlich ist, solche Orgelführungen veranstalten zu dürfen. In diesem Fall ebnete aber sozusagen Rhaetia selbst den Weg: Der entscheidungsbefugte Domdekan war seinerzeit Nachfolger unseres verstorbenen Bundesbruders Franz Sales Seidl als Stadtpfarrer von Landau an der Isar, kannte dessen tiefe Verbundenheit mit Rhaetia und gab deshalb sofort die erbetene Erlaubnis.

Nach diesem Ausflug in die Sphäre der Kunst verlangte auch Bruder Leib wieder sein Recht. Mit einem gemütlichen Mittagessen in der Peschlterrasse fand dieses vielgestaltige, erlebnisreiche Gautreffen einen gemütlichen Abschluss.

Bb. Franz Salzinger