Gau Passau
Dieser Artikel ist erschienen im Rhaeten-Herold Nr. 541/542-S. 18
„kunstreich wehrhaft gnadenvoll"
Gautag der Passauer Rhaeten am 16. Mai in Kößlarn
Die in der Überschrift wiedergegebene Begriffsdreiheit bildet den Untertitel eines kürzlich erschienenen Museumskatalogs, dessen Gegenstand der Obertitel direkter benennt: „Wallfahrtsgeschichte und Sakralkunst in der Kirchenburg Kößlarn".
Dem Wort „gnadenvoll" sind also mit „Wallfahrt-", „Sakral-" und „Kirche-" drei Begriffe zugeordnet, den beiden anderen jeweils nur einer. Das ist angemessen, denn was hier „kunstreich" und „wehrhaft" ist, hat einen religiösen Ursprung.
Der Ort Kößlarn, auf den sich das Gesagte bezieht und den die Passauer Rhaeten zum Ziel ihres ersten diesjährigen Gautags gewählt haben, liegt mitten im Hügelland zwischen Rott und Inn. Um die Wallfahrt, die hier einst blühte, ist es still geworden, aber ihre Spuren haben sich überdeutlich erhalten. Sie sind von zweierlei Art: Da ist einmal die Ungewöhnlichkeit der Kirchenanlage. Ungewöhnlich ist sie freilich nur im Sinne unserer Vorstellungen von einem Kirchenbau, denn im Mittelalter, so der Katalog, hat dieser „Bautypus (. ..) eher die Regel als die Ausnahme" gebildet. Und das Mittelalter steht hier überhaupt für Epochen, in denen das begründete Bedürfnis bestand, Heiligtümer mit ihren kostbaren Reliquien und ihren aus frommen Spenden erwachsenen Reichtümern auch durch entsprechende bauliche Maßnahmen zu schützen. So entstanden Wehrkirchen, also Kirchen, die selbst festungsähnlich gestaltet sind, und Kirchenburgen, d.h. solche, die von Wehrbauten, also Mauern und Türmen, umgeben sind. Die Kößlarner Kirchenanlage ist von der zweiten Art. Da kann man sich nun fragen, wie viel Grund die Kößlarner hatten, so sehr auf den Schutz ihres Heiligtums bedacht zu sein, und ob dieser Schutz auch wirksam war. Und da stößt man nun auf so etwas wie das Rätsel oder vielleicht sogar das Wunder von Kößlarn:
Seinen Bewohnern wie auch vielen Menschen der näheren und weiteren Umgebung war immer bekannt, dass die Kirche des Ortes und die zu ihr gehörenden Bauten an Zahl und Qualität ungewöhnliche Schätze bergen, obwohl die Wallfahrt, auf die sie zurückgehen, nur regionale Bedeutung hatte und obwohl - der befestigten Anlage zum Trotz - die Pfarrei 1728 durch einen Kirchenraub „einen großen Teil ihres Schatzes an Kirchen- und Votivsilber" verlor (Katalog) und 1743 eine große Plünderung über sich ergehen lassen musste. Während des Dreißigjährigen Krieges hatte man allerdings die wichtigsten Schätze nach Braunau und sicherheitshalber oft nach Salzburg verbracht.
Nun aber ein paar Worte zu diesen Schätzen, die sich - wie die besondere Kirchenanlage - der einstigen Wallfahrt verdanken: Unter religiösem Aspekt steht hier natürlich das kunstvoll in den Hochaltar integrierte Gnadenbild einer stehenden Muttergottes mit dem Jesuskind an der Spitze. Wenn es um künstlerischen Rang und materiellen Wert geht, nimmt allerdings eine andere Marienstatue den ersten Platz ein. Es ist die sog. Silbermadonna, ein hervorragendes Werk des Passauer Goldschmieds Balthasar Waltenberger vom Ende des 15. Jahrhunderts, das die Kößlarner offenbar ganz besonders ins Herz geschlossen haben. Dies konnten wir Rhaeten auch überdeutlich den Worten unserer verdienten einheimischen Führerin, Frau Elisabeth Entholzner, entnehmen, die z.B. mehrfach mit Bedauern davon sprach, dass der derzeitige Passauer Bischof wegen der Kostbarkeit der Silbermadonna verboten habe, diese - wie bisher üblich - bei Prozessionen mitzutragen. Frau Entholzner gehört übrigens zu den wichtigsten Initiatoren dessen, was in Kößlarn in den letzten Jahren entstanden ist: Man hat in den profanen Teilen der Kirchenburg ein Museum eingerichtet, das es erlaubt, wenigstens die bedeutendsten Teile des Kirchenschatzes in angemessener Form und an ihrem ursprünglichen Ort zu präsentieren. Frau Entholzner konnte dank ihrer Rolle bei der Entstehung des Museums ihre Führung sehr erlebnisorientiert gestalten, beschränkte sich also in vielen Fällen nicht auf die Erläuterung und Würdigung der Exponate, sondern wusste - in ihrem erfreulich unverfälschten heimischen Idiom - oft Erstaunliches über Umstände von Wiederauffindung, Restauration und Erwerb einzelner Objekte zu berichten. Nur ein Beispiel: Eine Jahreskrippe Münchner Herkunft, bestehend aus fast 200 Figuren, ist, so Frau Entholzner, „für a paar Glasln Hene (Honig)" 1943 in den Besitz der Kößlarner Kirche gelangt.
In diesem Zusammenhang ist von einem weiteren herausragenden Schatz zu berichten: Neben dieser aus dem 19. Jahrhundert stammenden Jahreskrippe besitzt Kößlarn auch einen Komplex von ca. 45 Krippenfiguren aus der Barockzeit, die nicht zuletzt interessante Informationen über die damalige Volkstracht vermitteln, da man zu dieser Zeit noch nicht um historische Treue, also um orientalisierende Gestaltung von Personen und Landschaft, bemüht war. Freilich, ein wenig Exotik musste trotzdem sein, und so gehören auch ansehnliche Dromedare und Kamele zu dieser Sammlung, aber auch ein Elefant, dem man deutlich ansieht, dass sein Schöpfer nie ein solches Tier in natura gesehen hat...
Aber wenn hier schon von Tieren die Rede ist, dann muss man auch des regional sehr bekannten Kößlarner Palmesels gedenken. Seine Bekanntheit beruht nicht zuletzt darauf, dass er einer der wenigen Vertreter seiner Art ist, die - als Repräsentanten der sinnenfrohen Vergegenwärtigung des christlichen Heilsgeschehens in der Barockzeit - den Raureif der Aufklärung und die Montgelasschen Direktiven überstanden haben. Er genießt heute freilich den musealen Ruhestand und ist für den praktischen Gebrauch am Palmsonntag durch eine Kopie ersetzt.
Natürlich spielt der Palmsonntag im festefreudigen Kößlarn eine dementsprechend wichtige Rolle, doch „das schönste Fest in der ganzen Region" ist nach Frau Entholzner das Erntedankfest. Und auf einem Gemälde im Kirchenmuseum, geschaffen von dem kunstsinnigen und künstlerisch begabten Pfarrer Joseph Nömeier, sieht man eine Kößlarner Fronleichnamsprozession dargestellt, bei der sich auch weniger Erbauliches zutrug: Nahe der rechten unteren Ecke erblickt man einen Mesner, der einen Ministranten ohrfeigt, der ein Weihrauchfass umgeworfen hat.
So weit, so gut: Führung und Besichtigung fanden bei der Rhaetenrunde, der sich erfreulicherweise auch wieder Bundesbrüder aus Nachbargauen angeschlossen hatten, offenbar großen Anklang, der Beginn der nachfolgenden Einkehr im Gasthof Bimesmeier-Eichler verursachte dem Gauobmann allerdings ein wenig Magendrücken. Er war nämlich etwas unangenehm überrascht, dass ein lichtdurchfluteter Wintergarten, den man mit der Wirtin einige Monate vorher - wohl etwas zu unbestimmt - ins Auge gefasst hatte, von einer Hochzeit besetzt war und der uns zugewiesene Gastraum mit einer anderen Gruppe geteilt werden musste. In dieser Situation hatte man natürlich einige Mühe, sich im Gespräch vernehmlich zu machen; aber anscheinend tat diese Erschwernis der Gemütlichkeit des Zusammenseins keinen ernsthaften Abbruch, was auch durch die Qualität des gastronomischen Angebots begünstigt wurde. So darf man wohl sagen, dass wir Passauer Rhaeten auch in Kößlarn einen Gautag erlebt haben, der in guter Erinnerung bleiben wird.
Bb. Franz Salzinger