Gau Passau
Dieser Artikel ist erschienen im Rhaeten-Herold Nr. 565/566-S. 25

Rhaetia beim niederbayrischen Adel

Gautag der Passauer Rhaeten am 11. Mai 2013 in Arnstorf

Dieses nicht gerade anheimelnde Frühjahr lässt wohl manchen unentwegten Wanderer zu dem bekannten Trostspruch greifen: „Es gibt kein schlechtes Wetter - es gibt nur ungeeignete Kleidung!" Man könnte den Satz abwandeln: Es gibt kein schlechtes Wetter - wenn man etwas Vernünftiges damit anzufangen weiß.

Eine ansehnliche Rhaetenschar aus dem Gau Passau und den Nachbargauen wusste dies sehr wohl, als sie - einer Anregung von Bbr. Salzfinger folgend -am 11. Mai 2013 das Obere Schloss im nieder-bayerischen Arnstorf zu ihrem Gautagsziel machte. Zwar konnte Obmann Prof. Dr. Konrad Glas aus gesundheitlichen Gründen an diesem Treffen nicht teilnehmen, er wurde aber durch seine Gattin Johanna und seinen Stellvertreter Bbr. Günter Albrecht würdig vertreten. Eine besondere Freude war es für die Rhaetenrunde, dass sich auch Philistersenior Dr. Berndt Jäger zu ihr gesellt hatte.

Gegenüber dem ursprünglich angesetzten Termin war der Gautag um eine Woche verschoben worden, weil der Schlossherr, Graf Moritz von Deym, seine Besucher selbst führen wollte, was erst an diesem Samstag möglich war. Er tat dies - teilweise unterstützt von seiner Frau Mutter - in ebenso anregender wie ruhig-unprätentiöser Weise, lockerte Information durch Anekdotisches auf und ließ auch immer wieder Humor aufblitzen.

Der Graf empfing seine Besucher vor dem Haupteingang des Schlosses, machte Ihnen bewusst, dass sie eben den früheren das Schloss umgebenden Wassergraben durchquert hatten, und führte sie dann in den Renaissance-Innenhof des Gebäudes. Dort machte er u.a. auf ein Wappenschild der vormaligen Schlossbesitzer, der Grafen von Closen, aufmerksam, von denen die von Deym es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts übernommen hatten. Das Wappen und der Familiennname der Closen gab dem Führer Anlass, eine Ursprungssage zu erzählen, in der es um das zeitlose Thema einer Liebe zweier junger Menschen geht, die mit dem Willen der älteren Generation in Konflikt gerät, einen Konflikt, der viel Unheil zur Folge hat und eine junge Frau veranlasst, sich für lange Zeit in einen tiefen Wald zurückzuziehen. Ein Vogel, der in dieser Zeit ihre Einsamkeit teilt, wird, nachdem sich die Konfliktpartner längst versöhnt haben, in das Wappenbild des Geschlechts aufgenommen, wo seine Identität späteren Betrachtern Kopfzerbrechen bereitet; erst in jüngerer Zeit wurde das Tier als Waldrapp erkannt.

Der Eintritt in den benachbarten Raum führte ins Mittelalter zurück: Eine gotische Halle mit Kreuzrippengewölbe lässt, so der Graf, ahnen, wie das Schloss ausgesehen haben könnte, bevor es ab Beginn des 17. Jahrhunderts umgestaltet wurde. Hier bekamen die Zuhörer auch eine Nuss zu knacken: Was haben diese Halle, so wurden sie gefragt, und Adam, der Stammvater des Menschen-geschlechts, gemeinsam? Antwort: Beiden fehlt eine Rippe ... Ein Blick nach oben bestätigte diesen Sachverhalt, jedenfalls für das Gewölbe, in dessen Rippennetz tatsächlich eine Lücke klafft.

Auf einen etwas ernsteren Ton gestimmt war natürlich der Besuch der benachbarten Kapelle. Zwar strahlt sie in ihrer künstlerischen Gestalt eher Heiterkeit aus, doch das inhaltliche Gepräge geben ihr große Märtyrergestalten der frühen Kirche, denen sich auch ein weniger bekannter Katakomben-heiliger zugesellt, dessen Reliquien in kostbarer Fassung unter der Altarplatte ruhen und dessen grässliches Märtyrerschicksal uns der Schlossherr keineswegs ersparte. Eine Besonderheit zeigt sich an der linken Wand des Presbyteriums, wo in einer kleinen Nische eine Vorbesitzerin des Schlosses das Herz ihres verstorbenen Mannes in einer Urne hatte bergen lassen, um es hier näher zu haben, als es bei einer Bestattung in der ziemlich weit entfernten Pfarrkirche der Fall gewesen wäre.

Gedanken an Tod und Vergänglichkeit traten zurück, als man mit dem Lift in den ersten Stock fuhr: Hier gelangte man in den sog. Kaisersaal, einen Raum der Festlichkeit und der Sinnenfreude im Geist von Renaissance und Barock, wo sich antike Mythologie gerade auch von ihrer pikanten Seite zeigt: So sieht man an einer der Schmalseiten des Gewölbes den Göttervater Zeus in verliebtem Getändel mit einem weiblichen Wesen - und gegenüber seine Gemahlin, die gerade auf ähnlichen Abwegen ist. Motive barocker Malerei, die in solchen Räumen immer wieder auftauchen, fehlen auch hier nicht und ihre meisterliche Gestaltung kann sich durchaus mit berühmten Beispielen messen: Der Sonnenwagen fährt pompös über die Decke, sprich: das Himmelsgewölbe, und die vier Ecken geben Gelegenheit zur Darstellung der damals bekannten vier Erdteile, wobei freilich die Zuordnung Symbole - Erdteile dem heutigen Betrachter aufgrund von Wissens- und Vorstellungsunterschieden nicht in allen Fällen sofort gelingt.

Noch auf Bewunderung gestimmt bekommt der Besucher im angrenzenden Raum verbal eine kalte Dusche, und zwar durch den jungen Schlossherrn selbst: „Das größte Verbrechen im Schloss", sagt er, sei hier begangen worden. Ein kurzer Blick zeigt, worum es sich handelt: In die eine Hälfte des Raums, ähnlich prunkvoll ausgemalt wie der Kaisersaal, hat man im 19. Jahrhundert übergangslos eine Theaterbühne hineingeklotzt. Sein ursprüngliches Verdikt abmildernd begrüßt Graf Deym aber dann doch die Erhaltung dieses Einbaus, weil man sonst solche Privattheater in der Folgezeit wieder beseitigt habe, und der Philistersenior verweist auf die, verglichen mit heutigen Angeboten, geringen Unterhaltungsmöglichkeiten jener Zeit, die Verständnis für eine solche Theaterleidenschaft nahelegten.

Für den Rückweg ins Erdgeschoss bediente man sich nicht mehr des Lifts, sondern wählte den Weg durch das prunkvolle Treppenhaus, dessen Deckenbild ein - nun freilich wieder ernstes - Gegenstück zur Triumphfahrt des Sonnenwagens im Kaisersaal bildet. Hier wird dieses Gefährt zum Anlass eines kosmischen Unfalls: Wir sehen Phaethon im Sonnenwagen zur Erde stürzen.

Im Erdgeschoss und damit am Ende der Führung angelangt, war die Zeit für ein Dankeswort gekommen: Bb. Albrecht fand die richtigen Worte und fügte ein persönliches Präsent hinzu: eine Federzeichnung des Dom-Ostchors aus seiner kunstgeübten Hand.

Hinzugefügt darf werden, dass die Rhaetenschar als ganze sich auch finanziell erkenntlich zeigte, wobei solche Spenden aber nach dem Willen der Schlossherrn der Kirche von Arnstorf zugute kommen. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass hier noch ein liebenswürdiger Rest alter Adelsherrlichkeit fortlebt: Soll ein neuer Pfarrer ernannt werden, muss der Schlossherr sich vorher formell mit diesem einverstanden erklären.

Auch für die Rhaeten endete mit dem Wechsel ins Gasthaus Oberwirt die Deymsche „Herrschaft" noch nicht, weil auch dieses zum gräflichen Besitz gehört. Die kroatische Pächterfamilie gab sich alle Mühe; trotzdem dauerte es eine geraume Weile, bis alle ihren Hunger und Durst stillen konnten - aber unter Leuten, die sich etwas zu sagen haben, ist das halb so schlimm.

Wie gut der Gautag angekommen war, wurde nicht erst hier im Gasthaus klar, aber seine positive Resonanz fand besonders beredten Ausdruck in den abschließenden Worten der Bundesbrüder Albrecht und Stegmüller sowie des Philisterseniors. Dabei hoben die beiden letzteren besonders ihre Verbundenheit mit Niederbayern hervor, Bb. Stegmüller als geborener Arnstorfer und der Philistersenior als geborener Passauer. Dieser informierte dabei auch über aktuelle die Verbindung betreffende Maßnahmen: Erneuerung des Aufenthaltsraums im Rhaetenhaus, endgültige Heilung der „Wunde" Garching und - „opus maximum" - die vorgesehene Erneuerung der Gaststätte.

Bbr. Stegmüller rühmte die - dank einer geschickten Kommunalpolitik - glückliche wirtschaftliche Entwicklung seines Heimatortes, wobei er besonders die Leistung des weltweit agierenden Industriellen Hans Lindner hervorhob, und entzückte die Zuhörer zum Schluss mit einer Anekdote aus seiner Gastwirtsfamiliengeschichte: Eine Vorfahrin, übernächtig vom geduldigen Ausharren bei späten Gästen, war beim Sonntagsgottesdienst eingedöst. Als die Glocke zur Wandlung läutete, meinte ihr Schlafbewusstsein, ein Bierholer mache sich bemerkbar; sie schreckte auf und rief: „Marie, Schenk ein!" ...

Auch alle Gautagsteilnehmer waren rechtzeitig und angemessen zu Speis und Trank gekommen, und - da holzverschalt - hatte sich der Gastraum trotz seiner geringen Höhe als in akustischer Hinsicht gesprächsfreundlich erwiesen. Kurz: Alle Umstände sorgten für einen gelungenen Gautag.

Bb. Franz Salzinger