Gau Passau
Dieser Artikel ist erschienen im Rhaeten-Herold Nr. 558-S. 9
Rhaeten erleben Glockenguss bei Perner
Gautag der Passauer Rhaeten am 17. Februar 2012
Glocken pflegen Gläubige zum Gottesdienst zu rufen; dass sie auch einem Verbindungsgautag diesen Dienst erweisen können, zeigte sich am 17. Februar 2012 in Passau. Sie taten es freilich nicht auf die herkömmliche Weise, sondern lockten durch die Aussicht, ihrem Entstehen beiwohnen zu können. Bb. Anton Glas hatte dank seiner musikalischen Mitarbeit bei der renommierten Glockengießerei Perner in Passau seinem Bruder, Gauobmann Prof, Dr. Konrad Glas, die Möglichkeit vermitteln können, mit Bundesbrüdern und deren Angehörigen einem Glockenguss beizuwohnen.
Es bedarf ja nicht vieler Worte, um die Außerordentlichkeit eines solchen Vorgangs anzudeuten: Die Glocke gehört für unser Bewusstsein einer sakralen Sphäre an und ist zugleich mit einem besonders intensiven Aggregatzustand der Materie verbunden, dem glut- und feuerförmigen. Die Fertigung einer Glocke gelingt nur im Zusammenwirken von in Jahrhunderten gewachsener Erfahrung, aktueller Handwerkskunst, kraftvollem körperlichen Einsatz und viel Geduld; aber auch wenn all dies gegeben ist, bleibt noch viel Raum für Furcht und Hoffnung. Ist es da ein Wunder, dass vor Beginn des eigentlichen Gusses auch heute noch nach alter Tradition ein Gebet gesprochen wird? Auch wenn Schillers „Lied von der Glocke" früheren Generationen viel präsenter war als unseren Zeitgenossen, so ist das Wissen darum doch offenbar auch heute noch so verbreitet, dass beim Erleben eines Glockengusses die Erinnerung daran erwacht. Freilich, die Bundesbrüder und die vielen anderen Zeugen dieses Vorgangs hatten eins mit Schiller gemeinsam: Wie dieser nur den eigentlichen Guss schildert, so erlebten auch die Besucher nur den spektakulären Abschluss eines sich über Wochen erstreckenden Vorbereitungsprozesses: Da musste zunächst - Werkstattgeheimnis der Glockengießerei - die sog. Rippe, d.h. der Halbquerschnitt der Glocke, berechnet werden, der Größe, Gewicht und Klang bestimmt, und danach eine spezielle Schablone zum Formen der Glocke gefertigt werden. Dazu wird zunächst ein Ziegelkern aufgebaut, der dann mit mehreren, nacheinander trocknenden Lehmschichten umgeben wird. Über diesem Kern wird aus Lehm die „falsche Glocke", ein Modell der späteren eigentlichen Glocke, aufgetragen. Diese „falsche Glocke" nimmt nun schon die für die echte bestimmten, kunstvoll in Wachs ausgeführten Inschriften und Ornamente auf. Darüber wird nun - als dritter Formteil - der wieder aus einer Vielzahl von Lehm-schichten bestehende sog. Mantel gelegt, der im Negativ die Konturen der „falschen Glocke" aufnimmt. Das Ganze wird nun in eine Grube gesenkt und mit Erde umfüllt. Der folgende, wärmeunterstützte Trocknungsvorgang lässt das Wachs der Inschriften und Ornamente schmelzen und erlaubt schließlich das Abheben des Mantels und die Zerstörung der „falschen Glocke". Durch die Zusammensetzung von Kern und Mantel ergibt sich jener Hohlraum, der beim Glockenguss mit Metall gefüllt wird. Das alles ist, wie gesagt, für Schillers Gedicht Vergangenheit und war es auch für uns, die Zeugen des Passauer Glockengusses vom 17 Februar 2012.
Dichtgedrängt füllten wir den für die Besucher zugänglichen Teil der Gießhalle und durften dem aufregenden Geschehen erstaunlich nahe kommen. Wachsende Spannung half uns die situationsbedingten Unbequemlichkeiten und die sich ständig steigernde Hitze zu ertragen. Und da war ja auch das Nacheinander jener Vorgänge, die uns fühlen ließen, wie der Höhepunkt des Geschehens immer näher rückte: Wir erlebten die intensive Beheizung des alten steinernen Gussofens durch die in silberglänzende Schutzanzüge gehüllten Mitarbeiter, wussten, dass im Ofen schon das Kupfer schmolz, und sahen schließlich, wie man fortgesetzt mächtige Zinnblöcke in die Glut schob und die ganze Metallmasse mit Hilfe langer Fichtenstämme durchmischte. Endlich war es so weit: In Slowenisch und Deutsch wurden - stellvertretend für die verschiedenen Bestimmungsländer der Glocken - von Geistlichen Segensworte gesprochen, und dann erfolgte der Anstich: „Das ist ja wie bei einem Vulkanausbruch!" entfuhr es einem Bundesbruder, als sich das rotglühende, flüssige Metall seinen Weg durch die vorher angelegten Kanäle zu den in der Erde vergrabenen Formen suchte und sie füllte. Aus diesen sollen - nach einer Abkühlungsphase von bis zu zwei Wochen - nicht weniger als zwölf Glocken auferstehen, um dann in die verschiedensten Regionen Mittel-und Südosteuropas zu wandern.
Lange hatten die Bundesbrüder mit den übrigen, aus den Bestimmungsländern. der Glocken kommenden Besuchern ausgeharrt, aber doch nicht so lange, wie es in früheren Zeiten notwendig gewesen wäre. Zu verdanken ist die Abkürzung der einzigen modernen Zutat zur traditionellen Gießanlage, einer Gebläsevorrichtung.
Gleichwohl wusste man es - trotz des zu bewältigenden Temperaturgegensatzes - sehr zu schätzen, dass man nun die heiße Gießhalle verlassen durfte, zumal schon das Mittagessen im Hacklberger Bräustüberl winkte.
Dort holte der Gauobmann die allgemeine Begrüßung der Bundesbrüder nach, die anfangs wegen des Besuchertrubels im Hof der Glockengießerei nur eingeschränkt möglich gewesen war. Er gab zugleich - nicht zuletzt unter Berufung auf den Wunsch westlich und nördlich von Passau wohnhafter Bundesbrüder - die Absicht bekannt, den regelmäßigen Stammtisch ab jetzt in einem Raum des Hacklberger Bräustüberls abzuhalten, was im Sommer evtl. auch die Verlegung des Treffens in den angrenzenden Biergarten ermöglicht.
Natürlich spielte das Thema Glocken und Glockenguss auch in den abschließenden Worten des Gauobmanns eine wichtige Rolle: Um das Erlebte in einen größeren Zusammenhang zu stellen, vermittelte er den Inhalt eines „Herold"-Artikels aus der Feder unseres verstorbenen Bundesbruders P. Aegidius Kolb mit dem Titel „Zur Kulturgeschichte der Glocke". Bb. Dr. Glas drückte auch sein Bedauern darüber aus, dass dieses eindrucksvolle Geschehen wegen des Freitagstermins den noch berufstätigen Bundesbrüdern vorenthalten geblieben ist, verwies aber auf ein Angebot der Familie Perner, wonach am Wochenende eine hochinteressante Führung für einen kleineren Kreis möglich wäre, bei der man nicht zuletzt Genaueres über die Feinabstimmung der Glocken beim Guss erfahren würde.
Zum Schluss möge noch ein Wort der Glockengießerfamilie Perner gelten, einer Familie, die Ungewöhnliches erlitten und Ungewöhnliches vollbracht hat: Eine über 300-jährige Glockengießertradition hatte die Perners von Brixen über verschiedene Zwischenstationen schließlich nach Budweis geführt. Rudolf Perner, Großvater des jetzigen, gleichnamigen Firmeninhabers, verlor dort 1945 als Vertreibungsopfer nicht nur Heimat und Betrieb, sondern auch all seine Konstruktionsunterlagen. Tatkraft, technisch-mathematisch-musikalische Fähigkeiten und hilfreiche menschliche Beziehungen machten ihm aber einen Neuanfang in Passau-Hacklberg möglich. 1968 übergab er die Geschäftsführung an seinen Sohn, der aber 1973 durch einen plötzlichen Tod dahingerafft wurde. Wieder übernahm der Seniorchef den Betrieb und führte seinen Enkel Rudolf in die Kunst des Glockengießens ein. Seit 1991 leitet nun dieser das Unternehmen mit größtem Erfolg.
Aus naheliegenden Gründen war schon von Schillers „Lied von der Glocke" die Rede. Ein speziell mit der Familie Perner verbundener Bezug dazu lohnt eine nochmalige Erwähnung: Schiller hatte in Apolda einen Glockenguss miterlebt; die Apoldaer Tradition hat später eine Karlsruher Gießerei übernommen, und die Glockengießerei Perner hat eben diese im Jahre 1999 erworben.
Und es war die Rede von der Vertreibung der Familie Perner aus Budweis: Als die Glockengießerei 1997 ihr 50-jähriges Bestehen in Passau feierte, war auch der damalige Kulturminister der Tschechischen Republik, Jaromir Talir, dabei - wahrhaftig ein schönes Zeichen einer neuen Zeit!
Bb. Franz Salzinger