Gau Passau
Dieser Artikel ist erschienen im Rhaeten-Herold Nr. 514/515-S. 17
Als wir jüngst in Regensburg waren...
Gautag der Passauer Rhaeten am 25. September 2004 in der Donaustadt
Überschriften sollen griffig sein, aber sie werden es oft nur um den Preis gewisser Verkürzungen.
Also: Gautag der Passauer Rhaeten?
Ja - aber direkt im Herzen des Gaus Donau/Naab und natürlich unter dessen erfreulich lebhafter Beteiligung. Aber die Anziehungskraft dieses Gautags in Bayerns alter Hauptstadt und im Bannkreis ihres Doms wirkte noch weiter: Auch der Gau Ingolstadt war durch seinen Obmann vertreten, ja durch den Philistersenior und seinen Stellvertreter gewissermaßen sogar die Gesamtverbindung. Erfreulicherweise waren auch viele Familienangehörige von Bundesbrüdern mitgekommen, so dass die Gruppe bei der Domführung zweigeteilt werden und das später aufgesuchte Hofbräuhaus Regensburg ein erhebliches Maß von Flexibilität beweisen musste - und auch konnte -, als es galt, an die fünfzig statt der realistischerweise erwarteten fünfundzwanzig Personen aufzunehmen. Jedenfalls wuchs sich die überraschend große Zahl der Teilnehmer nicht zu einem Problem aus, sondern blieb Anlass reiner Freude.
Doch nun zu den konkreten Modalitäten des Gautags:
Es war wieder einmal Bb. Leitender Baudirektor Günter Albrecht, der sich erboten hatte, uns eine Führung durch die Regensburger Dombauhütte und eine Besichtigung der neueren Restaurierungsarbeiten am Westteil der Kathedrale zu vermitteln. Dieses Versprechen wurde mehr als eingelöst, und zwar durch Günter Albrechts Regensburger Kollegen, Leitenden Baudirektor Weber. Man traf sich am frühen Nachmittag im höchst stimmungsvollen Umfeld der Dombauhütte: Das Wetter meinte es gut und die Sonne tauchte den hochragenden Ostchor des Gotteshauses und die davor sich ausbreitende mächtige Krone einer Eiche in ein herbstlich mildes Licht. Und bald war's so weit: Herr Weber bat uns ins Innere der Dombauhütte und führte uns in ebenso anregender wie informativer Weise in Zielsetzung, Bedingungen und Methoden der hier geleisteten Arbeit ein. Was dabei vermittelt wurde, kann hier natürlich nur in geraffter Form angedeutet werden. Um beim ersten Stichwort anzufangen: Die Zielsetzung liegt auf der Hand; es geht um die Erhaltung der Substanz des Bauwerks. Und die besondere Erhaltungswürdigkeit des Regensburger Doms steht außer Zweifel, handelt es sich hier doch um das einzige Beispiel der Kathedralgotik französicher Prägung im rechtsrheinischen Deutschland. Aber Substanzerhaltung darf nicht nur in einem vordergründigen materiellen Sinn verstanden werden - und hier ergibt sich schon ein Vorgriff auf das Stichwort „Methoden": Gerade um die Substanz in einem höheren und umfassenderen Sinn zu erhalten, muss im Kleinen und Einzelnen oft ursprüngliche Substanz durch eine neue ersetzt werden.
Konkret: Nicht nur im Mittelalter, sondern auch bei der durch den romantischen Geist des 19. Jahrhunderts bestimmen Fertigstellung des Doms, d. h. beim Ausbau der Türme und des Querhauses von 1859 bis 1872, verwendete man bedenkenlos den gut bearbeitbaren Grünstein. Erst als gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Holz als Brennmaterial immer mehr der schwefelhaltigen Steinkohle weichen musste, zeigte sich der Sandstein als wesentlich schadensanfälliger als der auch immer schon verwendete Kalkstein. Die natürliche Konsequenz war, dass man im weiteren Verlauf bei Reparaturen und Ergänzungen zur ausschließlichen Verwendung von Kalkstein überging. Erfreulicherweise erlauben aber neuere Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der mineralogischen und chemischen Rahmenbedingungen, das Schwergewicht vom Ersatz wieder mehr auf Konservierung und Reinigung des Steinmaterials zu verlegen.
Freilich - es gibt auch Bedingungen anderer Art, nämlich wirtschaftliche und politische. So bestand, wie Herr Weber ausführte, in jüngster Zeit staatlicherseits auch hier die Versuchung, finanzielle Belastungen auf dem Privatisierungsweg loszuwerden, was zur Auflösung der Dombauhütte in ihrer herkömmlichen Form geführt hätte. Gottlob setzte sich aber rechtzeitig die Einsicht durch, dass freier Wettbewerb niemals imstande wäre, ein so sensibles Arbeitsinstrument, wie es eine Dombauhütte darstellt, hervorzubringen oder zu erhalten. Denn - um nochmals das Stichwort „Bedingungen" aufzugreifen - die Bedingungen sind hier ganz besondere. Man musste sich auf der einen Seite die Handwerkstechnik der mittelalterlichen Steinmetzen wieder erarbeiten, um bei Restaurierungsmaßnahmen bruchlos an sie anknüpfen zu können, musste aber auf der anderen Seite den Anschluss an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse suchen und aufrechterhalten, um sie im Sinn der allgemeinen Zielsetzung nutzen zu können.
Die Lösung einer solchen Aufgabe kann man aber nicht einfach dam Markt anvertrauen. Nur eine hochkompetente, auf Kontinuität ihrer Arbeit bedachte und von der öffentlichen Hand entsprechend gestützte Mannschaft kann sie erfüllen. So ist es auch kein Wunder - und in den Worten von Herrn Weber kam es zum Ausdruck -, dass eine moderne Bauhütte, hierin ähnlich ihren mittelalterlichen Vorgängern, nicht nur unter der Last ihrer schweren und verantwortungsvollen Arbeit seufzt, sondern sie als einen „besonderen Reiz" und als eine „besondere Verpflichtung" erlebt und daraus ein wohlbegründetes Selbstbewusstsein bezieht.
Und nun ging es an das, wovon ein Bundesbruder sagte - und was er sagte drückte die Gefühle vieler aus: „So etwas erlebt man nur einmal in seinem Leben." Durch den sogenannten Eselsturm stiegen wir empor zu den Höhen des Doms und traten dort ins Freie. Hier war man nun wirklich, wie es Carl Amery in seinem Roman „Der Untergang der Stadt Passau" auf den dortigen Dom bezogen formuliert, hier war man auf dem „Domgebirge". Wir gingen wieder ins Innere, und Herr Weber machte uns klar, dass wir hier tatsächlich noch durch den mittelalterlichen Dachstuhl des Doms schritten. In dessen Westteil begegneten wir einem mächtigen historischen Laufrad, das zu einem Hebelwerk für Transporte gehörte und noch im 19. Jahrhundert verwendet wurde. Ein Aufstieg führte uns schließlich zum Übergang zwischen den beiden Türmen, von wo sich ein großartiger Ausblick auf den Westen von Regensburg eröffnete.
Von der Intention der Führung her stand uns freilich der eigentliche Höhepunkt noch bevor, die Besichtigung des Westportals und der dort vor sich gehenden Restaurierungsarbeiten. Dieses Westportal ist in seiner Form einer Dreieckspforte, wie Herr Weber sagte, ein „Unikat" und, wie man in der ausgezeichneten Informationsschrift „Die Erhaltung des Regensburger Doms" lesen kann, „wegen seiner ungewöhnlichen architektonischen Idee und wegen der Qualität seines Figurenschmucks eines der hervorragendsten Werke mitteleuropäischer Kunst um 1400".
Dieser Figurenschmuck erwies sich nun freilich in der Vergangenheit gerade wegen seines Reichtums und seiner Feinheit als besonders anfällig für den nagenden Zahn der Zeit und ist nun ein Objekt, das die Findigkeit und Sorgfalt der Restauratoren im höchsten Maße herausfordert und den Einsatz modernster technischer Mittel rechtfertigt. Mit einer differenzierten Darstellung der angewandten Methoden endete der angekündigte Teil der Besichtigung. Aber, wie schon gesagt, diese Ankündigung wurde mehr als eingelöst. Der „Mehrwert" bestand schon darin, dass Herr Weber entgegen vorher bekannt gewordener Bedenken ohne weiteres bereit war, eine so große Gruppe die Höhen des Doms besteigen zu lassen, und er bestand außerdem darin, dass nun noch ein Gang durch das Innere des Doms folgte, bei dem das Augenmerk besonders dem einen oder anderen ausdrucksstarken Glasfenster galt. Damit hatte sich aber nun auch unabweislich die Stunde der Bewährung für das Hofbräuhaus Regensburg genaht, das eine überraschend große Rhaetenschar und deren im Laufe eines langen Nachmittags angesammelten Appetit zu bewältigen hatte. Dass ihm das ohne weiteres gelang und so neben dem Einblick in die Sphäre eines sublimen, Kunst, Wissenschaft und Technik vereinenden Handwerks auch leibliche Genüsse und frohe Geselligkeit voll zu ihrem Recht kamen, besiegelte das Gelingen dieses Gautags.
Dem Schreiber des Berichts bleibt noch ein herzlicher Dank zu sagen, nämlich unserem Philistersenior, der den Gautag zum Anlass nahm, ihm nachträglich das Goldene Ehrenband zu überreichen, das er beim Stiftungsfest nicht hatte entgegennehmen können.
Bb. Franz Salzinger