Gau Passau
Dieser Artikel ist erschienen im Rhaeten-Herold Nr. 550/551-S. 10
"Dom und Türme"
Gautag der Passauer Rhaeten am 8. Januar 2011
Selbstverständlich ist es nicht, mitten im Winter einen Gautag anzusetzen. Die Erklärung dafür, warum der Passauer Gauobmann, Bb. Prof. Dr. Konrad Glas, das getan hat, kann man der Herold-Ausgabe vom November/Dezember 2010 entnehmen: Bb. Günter Albrecht, Leitender Baudirektor i. R., spricht hier von seinen Reiseskizzen, denen er unter dem Titel „TÜRME" in den am Domplatz gelegenen Räumen des Baureferats der Diözese eine Ausstellung gewidmet hat, die mit obigem Datum zu Ende ging. Dem Artikel ist eine Probe der Kunst unseres Bundesbruders beigefügt, eine zeichnerische Wiedergabe der großartigen Vierungskuppel des Passauer Doms. Schon diese Probe gibt eine gute Vorstellung von Günter Albrechts feiner Federführung, von seiner Fähigkeit, das Wesen eines Gegenstandes durch die paradox anmutende Verbindung von objektiver Genauigkeit und subjektivem Ausdruck zu erfassen.
Die durch den Heroldartikel und die Einladung des Gauobmanns geweckte Erwartung scheint groß gewesen zu sein, sonst wären nicht an die dreißig Teilnehmer zusammengekommen, nicht wenige auch aus den Nachbargauen, an ihrer Spitze der Philistersenior Maximilian Wilhelm und sein Stellvertreter Manfred Stegmüller mit ihren Gattinnen. Die begeisterte Aufnahme von Günter Albrechts Ausstellung zeigte mit aller Deutlichkeit, dass die vorhandene Erwartung voll erfüllt wurde.
Der Besichtigung der Zeichnungen unseres Bundesbruders war allerdings noch eine andere vorgeschaltet worden, und auch damit hatte der Gauobmann einen ausgezeichneten Griff getan:
Er hatte den Kunstreferenten der Diözese Passau, Herrn Alois Brunner, für eine konzentrierte Domführung gewonnen.
Hier bewahrheitete sich nun wieder einmal der alte Spruch: „Man lernt nie aus"; denn auch alte Passauer konnten bei dieser Führung durch ihre Kathedrale noch ins Staunen geraten. Das begann mit Informationen über architektonische Gegebenheiten des Baus, die teils beruhigend, teils eher das Gegenteil davon waren: Da ist einerseits die Gewölbekonstruktion, die entgegen dem sich von unten bietenden Eindruck geeignet ist, einen Großteil der Last in die Tiefe zu leiten, statt sie nach den Seiten drücken zu lassen. Da ist aber andererseits das heterogene Baumaterial, das einem heutigen Genehmigungsverfahren nicht mehr standhalten würde. Hinzu kommen weitere statisch bedenkliche Sachverhalte.
Da war es willkommen, dass Herr Brunner nun unseren Blick auf die künstlerische Ausgestaltung des Doms lenkte, und hier besonders auf das theologische Programm, das ihr zugrunde liegt und bei dessen Darstellung Gemälde, plastische Elemente und wiedergegebene Schriftworte zusammenwirken. Auf dieses Programm soll hier nicht näher eingegangen werden, wohl aber auf eine das Ganze bestimmende Grundhaltung, die der Schreiber dieses Berichts gerade bei einem barocken Kirchenbau weniger erwartet hätte. Um das Gemeinte zu veranschaulichen, sei eine bekannte Anekdote zitiert: Ein am Turm einer gotischen Kathedrale tätiger Steinmetz sei einmal von einem Besucher, der zu ihm emporgestiegen war, gefragt worden, warum er sich gar so viel Mühe gebe, wo doch ein in der Tiefe stehender Betrachter dort oben keine Einzelheiten erkennen könne.
Der Steinmetz habe geantwortet, Gott sehe sein Werk sehr wohl ... Auf den barocken Passauer Dom übertragen: Auch in der Barockzeit konnte - so Herr Brunner - der durchschnittliche Dombesucher unmöglich das künstlerisch ausgedrückte Gedankengut entschlüsseln; auch dieses hatte also sozusagen seinen Eigenwert - besser gesagt: seinen Wert vor Gott. Und das also bei einem Werk des Barock, jener Epoche, der man nachsagt, es sei ihr betont um die Schauseite ihrer Schöpfungen, um Repräsentation gegangen, so dass man zuweilen Objekte nur so weit genau ausgestaltet habe, als sie den Blicken der Beschauer zugänglich waren. Mit der Würdigung des modernen Hochaltars von Josef Henselmann verband Alois Brunner einen weiteren Hinweis auf den Respekt vor dem Eigentlichen und Wesentlichen, der dieses Bauwerk beseelt: Der Barock hatte auf eine blickbeherrschende Rückwand des Hochaltars verzichtet, um nicht von der zentralen theologischen Bedeutung des Altartisches abzulenken; erst in der Moderne setzte sich der Wunsch nach einer diesbezüglichen „Vervollständigung" des Hochaltars durch, wenn auch in künstlerisch sehr respektabler Weise. Mit dieser Information hatte sich Herr Brunner dem Ende der vereinbarten Zeitvorgabe genähert und tendierte nun zum Abschluss der Führung. Man hätte ihm gern noch länger zugehört und gern noch mehr von ihm erfahren, hatte er uns doch alle nicht nur durch die Substanz seiner Darbietung, sondern auch durch deren Lebendigkeit gefesselt. Beispielsweise wusste er immer wieder Spannung zu erzeugen; und das tat er nun auch zum Schluss: Er kündigte nämlich noch eine „Gruselgeschichte" an. Zu diesem Zweck führte er uns in die sog. Ortenburgkapelle im Bereich des ehemaligen Domkreuzgangs. Als des Pudels Kern schälte sich Folgendes heraus: In der Nachreformationszeit hatte es in der Familie der Ortenburger Grafen einen Zwist gegeben, in dessen Folge einem Familienmitglied die Bestattung in der Familiengruft verweigert wurde. Erst nach dreizehn Jahren fand der - einbalsamiert und in sitzender Stellung - im Schloss aufbewahrte Leichnam seine Ruhe in der Ortenburgkapelle, kam aber im vergan-genen Jahrhundert im Zusammenhang mit einer Öffnung der Gruft abhanden. Herr Brunner glaubt nun, einen Gegenstand - er verzichtete bewusst auf eine genauere Benennung -, den er bisher nicht hatte zuordnen können, in Bezug zu diesem Leichnam setzen zu dürfen, was er aber noch genauer nachweisen müsse und dann veröffentlichen werde.
Nach dieser etwas makabren Sache war es nun aber an der Zeit, sich lichteren Aspekten des Daseins zuzuwenden. Das waren zunächst die mit feiner Feder hingezauberten Reiseskizzen Günter Albrechts, die in diesem Bericht vorweggenommen wurden, dann aber - es war ein Gautag der kurzen Wege - das benachbarte Domcafé, das nicht nur willkommene Wärme, sondern natürlich auch exzellentes Backwerk und gepflegte Getränke bot. Hier konnte man den Gautag in frohem Gespräch und - es war ja noch früh am Tag - in aller Ruhe ausklingen lassen.
Bb. Franz Salzinger