Gau Passau
Dieser Artikel ist erschienen im Rhaeten-Herold Nr. 499/500-S. 20
Ein Gautag und ein „qualifizierter" Stammtisch"
Passauer Rhaeten auf den Spuren von Kunst und Geschichte in und um Passau (27. April und 21. Juni 2002)
Was macht ein Passauer Fürstbischof des 18. Jahrhunderts, wenn der Papst den Jesuitenorden aufhebt, der Bischof aber nicht ganz damit einverstanden ist? Was macht ein anderer Bischof, wenn ihm ein preußischer Kurfürst ein Portrait seiner Person schenkt, der Bischof aber Hemmungen hat, das Konterfei eines protestantischen Potentaten in seiner Residenz aufzuhängen?
Mit solchen und ähnlichen reizvollen Einblicken in die Mentalität einer vergangenen Zeit würzte Heimatpfleger Hans Erich Schätzl von Thyrnau bei Passau die höchst informative Führung, die er den Passauer Rhaeten und einigen Gästen aus den Nachbargauen (darunter in alter Treue der Gauobmann von Mühldorf, Bb. Erich Horndasch, mit seiner Frau) am 27. April angedeihen ließ. Thyrnau kann nicht beanspruchen, allgemein bekannt zu sein, deshalb ein paar Bemerkungen vorab: Der Ort liegt etwa 10 Kilometer nordöstlich von Passau und ist zwar klein, hat aber markante architektonische Akzente, die durch seine erhöhte Lage gut zur Geltung kommen. Diese Akzente haben einen weltlichen (jedenfalls von seiner Zweckbestimmung her) und einen geistlichen Ursprung: auf der einen Seite ein ehemaliges Jagdschloss der Passauer Fürstbischöfe (es hatte eine Burg als Vorgängerin und ist heute ein durch seine Paramentenstickerei bekanntes Zisterzienserinnenkloster), auf der anderen Seite eine alte Christophoruswallfahrt, deren Raumbedürfnisse und finanzielle Erträge auch der in der Mitte des Ortes gelegenen Pfarrkirche zu Entstehung, Größe und künstlerischer Ausstattung verhalfen. Die Christophoruskirche ist der älteste Bau des Ortes, romanischen Grundcharakters, aber später umgestaltet. Es bedeutete ein besonderes Entgegenkommen des Heimatpflegers, dass wir sie besichtigen konnten, weil sie normalerweise nur zum Zeitpunkt des Patroziniums für einen Gottesdienst geöffnet wird. Das Inventar aufzuzählen würde Leser, die an der Führung nicht teilgenommen haben, nur langweilen; darum sei lediglich gesagt, dass die Kirche in ihrem Hochaltar eines der wenigen Renaissancebilder des Bistums birgt und dass sie Zuflucht für Kunstwerke wurde, die ihre Heimat verloren haben, so für Grabsteine aus den in der Säkularisation abgebrochenen Kapellen des Domkreuzgangs sowie für Plastiken aus der Kapelle der verschwundenen Burg. Zu deren Folgebau, dem schon erwähnten Schloss, führte nur ein Spaziergang, da - wie Herr Schätzl glaubhaft versicherte - die Komissare der Säkularisation (oder auch Folgebesitzer?) hier im Inneren reinen Tisch gemacht und nichts Sehenswertes mehr übriggelassen haben. Der feudale Aspekt des Ortes ist also für einen Kunstfreund nicht mehr ergiebig, umso mehr aber der kirchliche, und darum ging die Besichtigung auf dieser Linie weiter:
Bevor man sich der schon erwähnten Pfarrkirche zuwandte, galt der Besuch einer religionsgeschichtlichen Besonderheit: Neben der Pfarrkirche befindet sich eine so genannte Loretokapelle, wie sie uns auch an anderen Orten begegnet. Es handelt sich dabei um eine Nachbildung des so genannten Heiligen Hauses im italienischen Wallfahrtsort Loreto. Mit diesem Bauwerk verbindet sich die Legende, dass Engel das Haus von Maria und Josef aus Nazareth an die italienische Adriaküste getragen hätten. Als realen Kern der Legende vermutet man, dass seinerzeit, angesichts des drohenden Untergangs des Kreuzfahrerstaates, religiös bedeutsame Gegenstände beizeiten ins Abendland verbracht wurden, so dass das Heiligtum in Loreto tatsächlich Bestandteile aus dem Haus der Heiligen Familie in Nazareth enthalten könnte. Es war faszinierend zu erfahren, dass das Thyrnauer Kirchlein nicht nur allgemein eine genaue Nachbildung des Heiligtums von Loreto ist, sondern dass auch Erscheinungen, die man dem vielberufenen Zahn der Zeit zuzuschreiben geneigt ist, bewusste Imitationen darstellen, z.B. Unregelmäßigkeiten im Mauerwerk, geknickte Balken, Russspuren und anderes mehr. An dunklen Stellen kann man eingeritzte italienische Namen sehen, und Herr Schätzl wusste sie zu deuten: Auch in früherer Zeit schon gab es italienische Familien, die sich arbeitshalber in unserer Gegend aufhielten, und diese berührte ein solches Heiligtum so heimatlich, dass sie ihre Namen darin verewigten.
Auf die Nennung von Einzelheiten in der reizvollen Rokokopfarrkirche sei verzichtet - mit einer Ausnahme: Im rückwärtigen Teil birgt sie ein Kunstwerk von hohem Rang, die „Thyrnauerin", eine spätgotische thronende Steinmadonna von 1480. Nicht um eine jener bekannten elegant geschwungenen Figuren handelt es sich hier also, sondern um eine Gestalt, die - sitzend - mit dem weit sich ausbreitenden Faltenwurf ihres Gewandes ein wuchtiges wohlgeerdetes Dreieck bildet.
Und nun zur Beantwortung der einleitenden Fragen: Die Kirche ist dem heiligen Franz Xaver geweiht, und dies nicht von ungefähr: 1773 hatte der Papst unter dem Druck europäischer Fürsten den Jesuitenorden aufgelöst. Natürlich konnte sich auch der Fürstbischof von Passau, Leopold Ernst von Firmian, einer solchen Anordnung nicht einfach entziehen; er bekundete aber seine Wertschätzung für die Passauer Vertreter des Ordens dadurch, dass er der Kirche den zweitwichtigsten Jesuitenheiligen zum Patron gab und den Mitgliedern erlaubte, als Privatleute weiterhin hier zu leben und zu unterrichten.
Das Verhalten des liberalen Passauer Bischofs erinnert ein wenig an das nichtkatholischer Machthaber, die sich naturgemäß an das Verbot des Papstes gebunden fühlten - womit wir bei den Preußen wären. Mit einem solchen hatte es ein anderer Passauer Fürstbischof, Joseph Dominikus von Lamberg, zu tun. Er war als Diplomat des Kaisers zum Großen Kurfürsten geschickt worden und hatte von diesem, wie schon angedeutet, zum Andenken ein Portrait seiner eigenen Person verehrt bekommen. Es zu würdigen war natürlich angezeigt, weniger aber, das Bild eines protestantischen Fürsten in der bischöflichen Residenz aufzuhängen. Also kam es nach Thyrnau und ziert bis zum heutigen Tag, zusammen mit anderen schönen Gemälden, den Festsaal der ehemaligen Schlosstaverne - akkurat jenen Festsaal, der den höchst ansprechenden Rahmen für den gemütlichen Abschluss unseres Rhaetentreffens bildete.
Da wir uns damit immer noch in einem bischöflichen Ambiente befinden, sei noch ein kleiner Nachtrag gestattet:
Knapp zwei Monate später, am 21. Juni, traf sich wieder eine ansehnliche Rhaetenschar aus Passau, aber auch aus der weiteren Umgebung, diesmal zu einem „qualifizierten Stammtisch". Das Urheberrecht für diese Bezeichnung kommt wohl Bb. Ernst Härtl zu; sie meint einen Stammtisch mit einem gewichtigen Vorprogramm. In diesem Fall war es wieder einmal Bb. Günter Albrecht, der uns als oberster Chef der Passauer Dombauhütte - nach 15 Jahren zum zweiten Mal - einen Einblick in deren Tätigkeit vermittelte. Diesen verschaffte uns vor Ort der Leiter der Dombauhütte, Herr Michael Hauck, in Gestalt einer sehr gehaltvollen Einführung, der eine Auffahrt zum gotischen Ostchor des Doms folgte. Die Teilnehmer der Besichtigung waren aufs Höchste beeindruckt von der Leistung der mittelalterlichen wie der heutigen Steinmetzen, setzten sich aber auch mit dem Plan auseinander, den Dom mit einer Kalkschlämme zu überziehen, um weiteren Verfall vorzubeugen.
In Anschluss an die Besichtigung bot die Passauer Peschlterrasse in gewohnter Weise Gelegenheit, den in der beträchtlichen Hitze des Spätnachmittags entstandenen Flüssigkeitsverlust auszugleichen.
Bb. Franz Salzinger