Gau Passau
Dieser Artikel ist erschienen im Rhaeten-Herold Nr. 565/566-S. 26
„Die Entdeckung der Nähe"
Gautag der Passauer Rhaeten am 14.9.2013 in Passau
Die Überschrift dieses Berichts ist der Titel eines Erinnerungsbuchs von Wolfgang Johannes Bekh, des - auch mit Rhaetia verbundenen - 2010 verstorbenen bayerischen Schriftstellers und Münchner Turmschreibers. Er passt für den Gautag der Passauer Rhaeten vom 14.09.2013. Ort war wieder einmal eine der Passauer Höhen, diesmal aber nicht der Mariahilfberg mit der Villa unseres Gauobmanns Prof. Dr. Konrad Glas, sondern der gegenüberliegende Oberhausberg.
Die Bezeichnung „Entdeckung" mag übertrieben erscheinen, aber zu einer Neubegegnung wurde der Gautag auf jeden Fall, zu einer Neubegegnung mit der bewegten Geschichte der Stadt Passau und ihres einst gewaltigen Ausstrahlungsraums.
Vermittelt wurde diese Neubegegnung durch Bbr. Günter Albrecht, der dankenswerterweise diesen Gautag organisiert und eine Führung durch einen wesentlichen Teil des Oberhausmuseums angebahnt hatte. Im Rahmen einer kurzen Begrüßung, die besonders auch der mit großer Freude aufgenommenen Anwesenheit unseres Philisterseniors Dr. Berndt Jäger und seiner Gattin galt, begründete der Gauobmann seine etwas zurückgenommene Rolle bei diesem Gautag: Er hat mit einer körperlichen Behinderung zu kämpfen und steht deshalb im Vorfeld einer orthopädischen Operation.
Nachdem er auch seinerseits die Rhaetenschar begrüßt hatte, vertraute Bbr. Albrecht sie der sachkundigen Führung von Herrn Florian Lechner an, der seine Gäste zunächst nicht ins Innere der Burg, sondern zu der auf ihrer Ostseite gelegenen sog. „Batterie Linde" führte, die den denkbar besten Ausblick auf Passau, insbesondere in Richtung des Mündungsbereichs der drei Flüsse bietet. Das Wort „Batterie" weist auf eine im Rahmen gewöhnlicher Stadtbesichtigungen eher im Hintergrund stehende Seite Passaus hin, seine militärgeschichtliche: Von den Fürstbischöfen als Zwingburg gegen Aufruhrgelüste freiheitsdurstiger Bürger errichtet, wurde das Oberhaus in den Tagen der Türkenbelagerung von Wien 1683 fieberhaft verstärkt, um im Fall des Falles von Wien als Barriere gegen den Ansturm der Osmanen dienen zu können. Auch der damalige Kaiser Leopold I. hatte ja in dieser Zeit seinen Aufenthalt nach Passau verlegt. Und dann schlug noch einmal die Stunde des Oberhauses: In seiner „Note sur Passau" vom 1. März 1809 rühmte Napoleon die strategische Bedeutung Passaus, entwarf den Plan eines Ausbaus der Stadt zu einer gewaltigen Festung und begann auch mit dessen Umsetzung. Dieses Unternehmen wurde schließlich gottlob durch die weitere politische Entwicklung überholt, Spuren davon sind aber noch heute in Passau wahrzunehmen. Trotz der den Korsen beherrschenden militärischen Überlegungen wäre es ein Wunder gewesen, wenn er als Italiener von Geblüt nicht auch einen Sinn für die ästhetischen Reize von Passau gehabt hätte. Der Beweis dafür liegt vor: Noch auf St. Helena sprach er wiederholt von Passau und äußerte einmal gegenüber seinem englischen Arzt 0' Meara, er habe „in Deutschland keine schönere Stadt gesehen als Passau". Eine sehr viel passivere Rolle als Napoleon spielte in Passau und im Oberhaus ein anderer Großer der französischen Geschichte: Als Kriegsgefangener des 1. Weltkriegs verbrachte der spätere General und Präsident Charles de Gaulle einige Zeit im damaligen Militärgefängnis Oberhaus.
Nachdem man den grandiosen Ausblick von der Batterie Linde aus genossen hatte, begab man sich ins Innere der Burg und in den zentralen Teil des dort untergebrachten Museums. Unter dem Titel „Passau - Mythos & Geschichte" führt er durch die Höhen und Tiefen der Passauer Vergangenheit:
Da sind auf der einen Seite die Zeugnisse von der überragenden Bedeutung, die der Bischofssitz Passau im frühen Mittelalter für die Erschließung und Missionierung des Donauraums hatte, wovon z.B. die Kathedralen von Wien und Gran-Esztergom noch heute künden, indem sie den Namen des Passauer Dompatrons St. Stephan tragen. Da ist die zentrale wirtschaftsgeographische Rolle, die Passau am Kreuzungspunkt zweier Handelsstraßen spielte, deren Ausrichtung man mit den Namen Venedig und Prag einerseits, Regensburg und Wien andererseits skizzieren könnte. Und da sind schließlich die Zeugnisse für die kulturelle Blüte Passaus in seinen auch wirtschaftlich glücklichen Zeiten , und nicht nur in diesen: zunächst die Schöpfungen seiner Mal-, Schnitz- und Steinmetzkunst, die so bedeutende Werke wie den berühmten Kefermarkter Altar umfassen; aber auch seine literarischen Leistungen, vor allem das nach 1200 im Umfeld des Passauer Bischofs Wolfger entstandene Nibelungenlied.
Aber gerade in diesem Nibelungenlied wetterleuchtet schon Abstieg, ja Untergang. So ist es nicht von ungefähr, dass in diesem Epos Baiern (man schreibt es hier wohl besser mit „i") immer wieder mit bösen Seitenhieben bedacht wird: Ahnten der Dichter und sein Auftraggeber vielleicht schon die Gefahr, die von dieser Seite drohte? Jedenfalls schnürte das Herzogtum ab der Mitte des 16. Jahrhunderts den für das Hochstift lebenswichtigen Passauer Salzhandel zu seinen Gunsten ab und zwang es zur verstärkten Besinnung auf seine religiöse und kulturelle Bedeutung. Den Beweis für die noch vorhandene Lebenskraft lieferte ausgerechnet die schlimmste aller Katastrophen in der bisherigen Passauer Geschichte, der große Stadtbrand von 1662: Aus ihm erhob sich - nur kurz durch den gleichfalls verheerenden Stadtbrand von 1680 darin unterbrochen - wie ein Phönix aus der Asche das von italienischen Künstlern geprägte barocke Passau, wie wir es heute kennen und lieben.
Und diese neugeborene Schönheit von Passau gab unserem Oberhausführer auch seinen zuversichtlichen Schlussausblick ein: Zusammen mit der unvergleichlichen Lage der Stadt sorgt sie dafür, dass Passau von immer mehr Fremden aufgesucht wird.
Ein unübersehbarer und auch unüberhörbarer Eindruck vom boomenden Tourismus bot sich den Bundesbrüdern gleich im Anschluss an die Oberhausführung: Es war schlechterdings fast unmöglich, die geplante Kaffeestunde im neuentstandenen benachbarten Aussichtslokal „Das Oberhaus" einzunehmen: Man hätte dort kaum genug Platz gefunden und hätte vor allem sein eigenes Wort nicht mehr verstanden. So begab sich die Rhaetenschar, wie für den weiteren Verlauf des Gautags ohnehin vorgesehen, gleich ein Stückchen weiter westwärts ins renommierte Gasthaus mit Weißbierbrauerei Andorfer, wo ein geschmackvoll-rustikales Ambiente und ein ansprechendes gastronomisches Angebot die besten Voraussetzungen für ein gemütliches Abschlusstreffen bildeten. Die ohnehin sehr begrüßte Anwesenheit des Philisterseniors hatte den zusätzlichen Vorteil, dass man auch das Neueste zu den Themen erfuhr, die die Verbindung als ganze zur Zeit besonders bewegen.
Bb. Franz Salzinger